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Mein wundervolles Genom

Mein wundervolles Genom

Titel: Mein wundervolles Genom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lone Frank
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erwähne, dass mein eigenes Interesse an Depressionen von meiner Familiengeschichte herrührt und ich gern erfahren möchte, wie Gene und Erziehung zusammenwirken.
    »Ja, natürlich.« Er spricht mitfühlend wie ein Bestattungsunternehmer. »Ich will Ihnen Folgendes sagen. Mein Ausgangspunkt in der Psychiatrie war ein tiefes Interesse für Schizophrenie. Aber die Schizophrenieforschung hat sich langsam in Richtung Genetik bewegt, und einer der Gründe, warum ich später so viel zu Depression geforscht habe, ist, dass Schizophrenie einfach zu erblich ist – so stark genetisch determiniert, dass es zu schwierig ist, viele der interessanten Fragen zur Bedeutung äußerer Einflüsse zu untersuchen. Bei der Depression hingegen sind die Umweltvariablen stärker. Wir wissen, wie Sie selbst sagen, dass belastende Ereignisse wie Tod oder Scheidung eindeutig Auslösefaktoren für die Krankheit sind.«
    Moment – sagt mir ein Professor der Psychiatrie und Genetik wirklich gerade, dass man sich zu sehr auf die Gene konzentriert?
    »Ich sehe eine gewisse Fixierung auf die Gene, ja.«
    Aber ist das schlecht?
    »Ich glaube derzeit nicht, dass wir überhaupt Gene finden können, die für sich allein einen größeren Einfluss darauf haben, ob jemand eine psychische Krankheit entwickelt oder nicht. Mit anderen Worten: Wir werden bei Depression und Angst nicht wie bei Alzheimer ein einzelnes Gen finden – eine Entsprechung zu ApoE –, das alles erklärt.«
    Dieser Punkt ist meines Erachtens wirklich interessant, und es ist bemerkenswert, das von einem Mann zu hören, der kürzlich zum Leiter eines gigantischen Genprojekts berufen wurde. Zusammen mit Forschern von der Oxford University und der Fudan University in Shanghai sammelt Kendler Daten von sechstausend Chinesinnen, die wiederholt unter Depressionen litten, und mithilfe von Genchips untersucht er eine halbe Million genetischer Marker – ein ähnliches Studiendesign wie bei Robert Plomins Untersuchungen zur Erblichkeit von Intelligenz. Der Mann, der anscheinend nicht daran glaubt, dass man entscheidende Gene entdecken wird, führt also eine traditionelle genetische Assoziationsstudie durch, um neue Gene aufzuspüren.
    »Genau. Aber bedenken Sie, dass wir nicht einfach nur die Gene der Frauen untersuchen, wir schauen uns auch ihre Umgebung sehr gründlich an.« Kendler atmet tief durch und blickt mich über seine Brille hinweg an.
    »Obwohl die Gene, die wir finden, nicht für sich allein entscheidend sind – jedes Gen spielt vielmehr eine ziemlich kleine Rolle –, deuten sie in Richtung einiger konkreter biologischer Spuren. Sie geben uns einen Schlüssel, mit dem wir die Tür zu den zugrunde liegenden Krankheitsmechanismen öffnen können, über die wir praktisch noch nichts wissen. Doch wir glauben, dass Neurotransmitter wie Serotonin bei der Depression eine Rolle spielen, weil die Medikamente, die die Symptome unterdrücken, auf den Serotoninstoffwechsel wirken. Aber tatsächlich sind wir noch sehr weit davon entfernt, zu wissen, was vorgeht.«
    Von der Serotonin-Hypothese hat jeder schon einmal gehört. »Sie sind deprimiert? Nun, dann haben Sie zu wenig Serotonin«, heißt es,oder: »Ihr Serotoninspiegel ist aus dem Gleichgewicht« – was immer das heißen mag. Vor ein paar Jahren haben Jeffrey Lacasse von der Arizona State University und Jonathan Leo von der Lincoln Memorial University darauf hingewiesen, dass wir diese Botschaft besonders häufig von der pharmazeutischen Industrie zu hören bekommen. Die beiden hatten Werbung für Serotonin-Wiederaufnahmehemmer untersucht und festgestellt, dass regelmäßig behauptet wurde, bekannte Markenpräparate wie Zoloft, Paroxetin, Prozac und Cipralex würden den Serotoninspiegel im Gehirn ins Gleichgewicht bringen. 17 Aber es gebe kein wissenschaftlich definiertes »Gleichgewicht« für Serotonin, schreiben Lacasse und Leo. Mit anderen Worten: Niemand hat jemals gemessen, wie viel Serotonin an verschiedenen Stellen im Gehirn sein s ollte , damit eine Person keine Depression bekommt. Oder, wie der britische Psychiater David Healy, Spezialist für Antidepressiva, mir einmal in einem Interview sagte: »Die Theorie, dass der Serotoninspiegel die Ursache einer Depression ist, ist genauso gut begründet wie die Theorie, dass Selbstbefriedigung zu Geisteskrankheit führt.«
    Wir kommen wieder zu der Frage, wie man Umwelteinflüsse untersucht.
    »Wir haben gerade erst begonnen zu schauen, was bei der Entwicklung vom Kind zum

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