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Mein wundervolles Genom

Mein wundervolles Genom

Titel: Mein wundervolles Genom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lone Frank
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Erwachsenen geschieht«, sagt Kendler. »Ich wette, wir werden sehr Interessantes finden. Es gibt die Vorstellung, unsere Gene seien unwandelbar: Wir erben sie, und das war’s dann, danach passiert nichts mehr. Aber die Wahrheit ist anders. Tatsächlich ist das Genom im Lauf der Zeit sehr dynamisch in dem Sinn, dass Gene, die mit bestimmten Zügen im Alter von sieben Jahren assoziiert sind, diese Assoziation mit sechzehn nicht mehr zeigen. In der Pubertät organisieren sich manche genetischen Effekte um.«
    Ein anderes Thema sind die Geschlechtsunterschiede.
    »Nehmen Sie die Häufigkeit von Depressionen: Bis zum fünfzehnten Lebensjahr ist sie bei Jungen und Mädchen gleich. Dann übernehmen die Frauen für den Rest des Lebens die Führung. Erwachsene Frauen leiden doppelt so häufig unter Depressionen wie Männer.«
    Depression ist erblich – im Durchschnitt in einer Größenordnung von 40 Prozent –, aber wenn man sich auf die Erblichkeit konzentriert, sieht es so aus, als hätten genetische Faktoren bei Frauen einen größeren Einfluss als bei Männern; das heißt, die Erblichkeit ist bei Frauen ausgeprägter.
    »Man kann die Frage stellen, ob die gleichen Gene bei Männern und Frauen die gleichen Effekte haben, und für die Depression kann man sagen, dass das nicht der Fall ist.«
    Bei Geschlechtsunterschieden denkt man automatisch an Hormone. Nehmen Sie nur das prämenstruelle Syndrom, die monatlichen Beschwerden, die manche Frauen fast in eine depressive Stimmung bringen. Könnte nicht Östrogen den Unterschied erklären?
    »Hormone sind sicher ein Teil der Erklärung«, sagt Kendler mit einer Spur Nachsicht in der Stimme. »Aber bedeutet das nicht auch, dass die Gesellschaft Frauen anders behandeln sollte, sobald sie geschlechtsreif sind?«
    Ich sehe nicht, worauf er hinaus will.
    »Sollte nicht das ganze Theater um Körperbild und Selbstachtung mit hineinspielen? Studien zeigen zum Beispiel, dass eine frühe Menstruation für Mädchen in geschlechtsgemischten Klassen sehr negativ ist. Frühe Geschlechtsreife bedeutet, dass sie früher ältere Freunde haben, früh mit Sexualität beginnen, dass lebenslang mehr Drogenmissbrauch und psychische Erkrankungen vorkommen. Wenn dasselbe Mädchen jedoch auf eine reine Mädchenschule geht, beobachtet man diese Zusammenhänge nicht.« Den nächsten Satz artikuliert Kendler sehr langsam und sorgfältig. »Das hängt zu einem großen Teil mit der Reaktion der Umgebung auf einen biologischen Vorgang zusammen. Für einen älteren Jungen gibt es nichts Anziehenderes als eine körperlich gut entwickelte Dreizehnjährige, die geistig noch zu jung ist, um sich zu verteidigen.«
    Ich frage, ob das bei Männern etwas Genetisches sein könne, und Kendler lächelt ein wenig matt. »Um diese Antwort drücke ich mich.«
    Es gibt noch ein anderes interessantes Forschungsgebiet, über das er gerne spricht: das Zusammenspiel von Genen und Umwelt. »Wir müssen verstehen, mit welcher Wahrscheinlichkeit Gene das Risiko für die Entwicklung einer psychischen Erkrankung erhöhen, wenn wir bestimmten Stressfaktoren ausgesetzt sind«, erklärt er. »Eine Herausforderung dabei ist, was ich als genetische Kontrolle von Umweltrisiken bezeichne. Bei Störungen wie Angst und Depression ist das besonders wichtig.«
    Kendler ist überzeugt, dass eine Wirkung von Genen bei psychischen Erkrankungen darin besteht, dass sie die Umwelt verändern. Wie kann das sein? 1997 zeigte er mit einer Zwillingsstudie, dass das psychologische Konzept des sozialen Netzes, das die Verbindungen und Unterstützungssysteme eines Individuums aufschlüsselt, nicht allein sozial determiniert, sondern auch in hohem Maß erblich ist. Diese Erkenntnis ermutigte ihn, zu spekulieren, dass teilweise genetische Züge wie etwa das Temperament die Menschen dazu bringen könnten, ihre eigene soziale Umwelt aufzubauen.
    »Wenn wir durchs Leben gehen, schaffen wir dadurch, wie wir mit anderen Menschen interagieren, aktiv unsere Umwelt. Und die Qualität der Umwelt wirkt wiederum auf unsere psychische Verfassung zurück. Es sind Kreise, die sich überschneiden: Die Gene, die uns anfällig für Depression machen, sorgen auch dafür, dass es schwierig ist, mit uns verheiratet zu sein oder zu arbeiten.«
    Wenn von »Umwelt« die Rede ist, denken die meisten von uns an Dinge, die einfach passieren. Sozusagen die Musik des Zufalls.
    »Dumm gelaufen, sagt man. Natürlich, Glück und Pech sind Teile des Spiels, aber wenn Sie genau hinsehen,

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