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Mein wundervolles Genom

Mein wundervolles Genom

Titel: Mein wundervolles Genom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lone Frank
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...«
    Leider sagt er nicht mehr dazu. Wir werden unterbrochen, weil eine sehr scheue Tigerkatze mit blassgrünen Augen hereinschleicht. Sie beäugt mich erst und nähert sich mir dann ganz vorsichtig, um an meiner ausgestreckten Hand zu schnuppern.
    »Sie ist eigen und mag nicht jeden Besucher«, bemerkt Kendler. Heute ist es kein Problem, denn ich kann gut mit Tieren umgehen. Sie lieben mich, erkläre ich Kendler und spreche mit der Katze wie zu Hause mit meinem schwarzen Kater. »Na, du hübsche Miezekatze, komm mal her.« Die Katze kommt langsam näher, aber als ich sie hinter dem Ohr kraulen will, beißt sie demonstrativ zu und gräbt einen Eckzahn in das weiche Fleisch zwischen meinem Daumen und dem Zeigefinger. Dann rollt sie sich zusammen und fixiert mich mit boshaftem Blick.
    Unterdessen kehrt Kendler zu der großen Meldung des Tages zurück, in der er selbst mehrfach zitiert wird. In dem Bericht geht es um die berühmte Dunedin-Studie von Avshalom Caspi und Terrie Moffitt, die zeigte, dass das SERT-Gen das Depressionsrisiko erhöht, wenn jemand als Kind Traumatisierungen und Missbrauch erlebt hat. Nun hat aber eine Gruppe von Psychiatern und Statistikern eine Untersuchung von vierzehn anderen Studien mit der gleichen Art von Daten vorgelegt, und daraus ist kein Zusammenhang zwischen SERT und Depression zu ersehen. 16
    »Ich denke, das sollte Caspis Studie den Wind aus den Segeln nehmen«, sagt Kendler. Schnell fügt er hinzu, dass Avshaloms Vater in der Schule sein Hebräischlehrer gewesen sei und Avshalom ohne Zweifel ein feiner Bursche sei. Die beiden berühmten Studien über die jungen Männer von Dunedin und das Zusammenspiel ihrer SERT- und MAOA-Gene in der Kindheit seien auf ihre Weise auch ein hervorragender Ansatzpunkt. Die Studien hätten jedoch einfach viel mehr Einfluss bekommen, als berechtigt sei.
    »Meine Erklärung ist, dass diese beiden Erkenntnisse eine ideale Antwort auf die Frage geben, was angeboren ist und was anerzogen. Man könnte fast sagen, es sei ›Wohlfühlforschung‹. Die Ergebnisse vermitteln den Eindruck, dass jeder ein Gewinner ist. Die Studie ist intuitiv sehr ansprechend, und als sie 2003 veröffentlicht wurde, suchten alle, die einmal Studien zu SERT-Genen durchgeführt hatten, sofort ihre Daten hervor und schauten, ob sie den gleichen Effekt nachweisen konnten, wenn sie ihre Studienteilnehmer nach ihrer Kindheit befragten.«
    »Und...?«
    »Einige konnten es, andere nicht. Und die neue Metaanalyse berücksichtigt sie alle.«
    Metaanalysen. Das sind statistische Verfahren, in denen es darum geht, eine Verbindung zu testen, die manche Studien nachweisen und andere nicht. Sie funktionieren so, dass alle Studien zusammengefasst und wie eine einzige behandelt werden. Metaanalysen werden oft wie Trumpfkarten der Forschung ausgespielt. Hier, nimm das! Wir haben mehr Daten als du, also haben wir recht.
    Trotzdem fiel es vielen Forschern auf diesem Gebiet schwer, dies als das Ende eines Zusammenhangs zwischen SERT und Depression zu akzeptieren. Schließlich wurde das »Woody-Allen-Gen«, wie man es auch nannte, wiederholt mit Anfälligkeit für Stress in Verbindung gebracht: Träger der kurzen Variante des Gens kommen schlecht mit Stresssituationen und belastenden Ereignissen zurecht. 2007 berichtete eine britische Forschergruppe, eine Neigung zu Ängstlichkeit bei Kindern seimit der kurzen SERT-Variante assoziiert, und im selben Jahr erkannte eine andere Gruppe einen Zusammenhang zwischen dieser Variante und Selbstmorden. Zugleich wird Stress häufig als ein Auslösefaktor für Depression genannt. Wenn ich mich richtig erinnere, gehörten Kenneth Kendler und seine Gruppe in den 1990er Jahren zu den Ersten, die zeigten, dass Menschen unterschiedlich auf Einflüsse reagieren, die mit Depression in Verbindung stehen. Das heißt, die Anfälligkeit ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich.
    »Allerdings«, sagt er sehr ruhig, »glaube ich auch, dass das von Caspi beschriebene Phänomen existiert. Es hat nur nicht jedes Gen genug Wirkung, damit man statistisch ein Zusammenspiel mit Umweltfaktoren wie der Erziehung erkennen kann. Die Menschen begeistern sich für eine Idee und dann für eine andere – fast als würden sie sich verlieben. In der Psychiatrie gibt es Moden, und es war modisch, Umwelt und individuelle Gene so zu untersuchen, wie sie es in der Dunedin-Studie getan haben. Meine Hoffnung ist, dass die Leute sich beruhigen und nüchterner auf die Daten schauen.«
    Ich

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