Mein wundervolles Genom
Dauernd...«
»Ja, sicher«, sagt Weinberger mit höflichem Desinteresse. Persönliches Geplauder interessiert ihn nicht. Als Wissenschaftler muss er Größeres im Blick haben – die Evolution und die conditio humana. Er betont, dass nicht eine COMT-Variante die gute und richtige ist und die andere eine böse, die dumm macht. Nein, in der Verhaltensgenetik geht es immer um einen Ausgleich zwischen einem Bereich – hier emotionale Reaktionen – und einem anderen – hier kognitive Leistungen.
»Man kann nachweisen, dass es in der Evolution eine genetische Balance gegeben hat zwischen Effekten, die kognitive Vorteile verleihen, und Effekten, die emotionale Vorteile verleihen. Für jede Variante gibt es bestimmte Umgebungen oder Nischen, für die sie besonders geeignet ist. In unserer Vergangenheit waren die Krieger wahrscheinlich sehr viel besser bei der Mammutjagd, und die Grübler saßen in den Höhlen und entdeckten das Feuer.«
Geschichten aus alten Zeiten und fernen Gefilden sind immer unterhaltsam, aber ich weiß, dass es Metaanalysen gibt, die zu dem Schluss kommen, dass unterschiedliche COMT-Varianten sich nicht auswirken. Das ist ein Reizthema für Weinberger. Sein Gesicht legt sich in Falten, als ich ihn damit konfrontiere.
»Metaanalysen«, er spricht das Wort aus, als hätte er in eine Zitrone gebissen. »Das Problem mit ihnen ist, dass sie Äpfel und Apfelsinen vermischen! Metaanalysen zu COMT werfen einfach alle Studien zusammen, in denen kognitive Tests gemacht wurden, auch wenn die nicht gleich waren. Und das zweite Problem ist, dass solche Analysen stark durch eine schlechte Studie gefärbt werden, die zufällig sehr viele Teilnehmer hatte. Bei einer Metaanalyse wird die unterschiedliche Qualität der Studien nicht berücksichtigt.«
Weinberger fragt, ob ich von der neuen Metaanalyse gehört habe, die offenbar die Studie von Avshalom Caspi und Terrie Moffitt zu SERT und Depression widerlegt. »Natürlich«, antworte ich mit gutem Gewissen.
»Das ist ein klassisches Beispiel. Eine Metaanalyse, die durch eine britische Studie ruiniert wurde, die den von Caspi beobachteten Effekt nicht gefunden hat. Die Studie hatte über achttausend Teilnehmer, aber die Daten waren oberflächlich, erhoben in einem einzigen Telefoninterview. Man kann so etwas nicht mit einer Studie wie der von Caspi vergleichen, bei der eine Gruppe über viele Jahre beobachtet wurde und die Forscher die Teilnehmer immer wieder direkt befragten.«
Er bricht wieder in sein dröhnendes Lachen aus. »Wissen Sie was? Es ist genau so, wie einer meiner Genetikerkollegen immer sagt: Von den Nobelpreisträgern der letzten hundert Jahre hat keiner mit Metaanalysen gearbeitet.«
Damit bin ich mitten in den Krieg zwischen Epidemiologen und Molekularforschern geraten, eine schon lange währende Feindschaft, die auch Kenneth Kendler beiläufig erwähnt hat. Die einen denken in Populationen und Prozentsätzen – kurz, statistisch – und brauchen Daten von Gruppen; je größer die Gruppen, desto besser. Die anderen betrachten das Individuum und wollen Vorgänge auf mikroskopischer Ebeneverstehen, die womöglich in den Unterschieden innerhalb von Populationen ihren Niederschlag gefunden haben. Die Molekularforscher denken in kleinen Dimensionen, sie wollen gut durchdachte Studien entwerfen, die eine wissenschaftliche Hypothese testen.
»Wenn wir etwas über das Zusammenspiel von Genen und Verhalten erfahren wollen, können wir nicht von großen Populationen ausgehen«, sagt Weinberger wegwerfend. »Ich nenne Ihnen eine gute Analogie, die Sie in Ihrem Buch bringen können.«
Ich bedanke mich, aber er scheint es gar nicht zu hören.
»Wissen Sie, warum es den Autoren der großen Assoziationsstudien schwergefallen ist, Gene zu finden, die etwas mit Verhalten zu tun haben? Weil sie eine bestimmte Verhaltensweise untersuchen, die viele Dinge abdeckt, als wäre es ein klar abgegrenztes Phänomen. Anzunehmen, ›Angst‹ sei ein einzelnes Phänomen, biologisch gesprochen, ist ... dumm. Es ist so, als würde man die Ursache von Autounfällen in den Vereinigten Staaten untersuchen und Autounfälle so definieren, dass es Unfälle mit Autos sind. Man weiß nur, dass das Auto kaputtgegangen ist. Sie tragen alle Informationen zusammen, die Sie bekommen – Alkohol im Blut des Fahrers, Alter des Fahrers, ob eine Frau neben ihm saß, wie lange er schon fährt, der Zustand der Reifen, wie alt das Auto ist und so weiter.«
Weinberger trinkt seine Limonade
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