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Mein wundervolles Genom

Mein wundervolles Genom

Titel: Mein wundervolles Genom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lone Frank
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andere. Dies ist eines der Interviews, die der Interviewte steuert, weil er eine Geschichte zu erzählen hat. Mein Beitrag besteht im Wesentlichen darin, dass ich den MP3-Rekorder auf dem Tisch aufbaue und an den richtigen Stellen verstehend nicke.
    »Seltsam«, sagt Weinberger auf einmal. »Es ist seltsam, daran zu denken, dass die Menschen noch vor zwanzig Jahren nicht zugaben, dass Gene daran mitwirken, dass wir sind, wie wir sind. Alle akzeptierten die Tatsache, dass Gene die Physiologie und den Körper prägen, aber sie verdrängten, dass das Gehirn auch ein Teil des Körpers ist – sogar traditionelle Genetiker hatten damit ihre Schwierigkeiten. Aber, verdammt noch mal, wir sehen alle verschieden aus, wieso in der Welt glauben wir, dass die Unterschiede zwischen uns nur physisch sind?«
    Er zuckt die Schultern und verdreht hinter seiner randlosen Brille die Augen.
    »Der Grund, warum wir ein wenig Angst vor individuellen genetischen Varianten haben, ist, weil dabei schnell Werturteile ins Spiel kommen. Die Menschen werden sagen, diese Variante ist gut, und eine andere ist schlecht. Gute Gene und schlechte Gene – das klingt nicht schön, stimmt’s?«
    Vielleicht klingt es nicht schön, aber man kommt um die Tatsache nicht herum, dass es Varianten gibt, die in manchen Zusammenhängennützlich sind und in anderen nicht. Gibt es zum Beispiel bei Persönlichkeitstypen eine natürliche Palette?
    »Ja, das ist offenkundig. Es ist auch offenkundig, dass manche Varianten dieser Palette in bestimmten Situationen besser sind als andere. Und wir haben viel Zeit damit verbracht, ein spezielles Gen zu untersuchen ...« Er schaut mich erwartungsvoll an.
    »Sie meinen COMT?«, frage ich.
    Er nickt wie ein zufriedener Lehrer.
    Das Gen für Catechol- O -Methyltransferase oder COMT ist Weinbergers Signatur in der Studie und wird es bleiben. Es ist beinahe zum Synonym seines Namens geworden, und laufend publiziert seine Forschungsgruppe neue Erkenntnisse, welche Auswirkungen Varianten des COMT-Gens auf das Gehirn haben und wie sie die Psyche beeinflussen. Dieses Gen codiert für ein Enzym, das unter anderem den Neurotransmitter Dopamin in den frontalen Regionen des Gehirns inaktiviert. Diese Regionen spielen eine zentrale Rolle bei kognitiven Vorgängen – allem, was mit Planen, Überlegen und bewusstem Denken zu tun hat.
    Wie viel Dopamin in diesen Hirnregionen zur Verfügung steht, hängt direkt von dem Enzym COMT ab. Mehr Enzymaktivität führt zu weniger Dopaminproduktion. Das genaue Niveau der Enzymaktivität wird von der spezifischen Sequenz des COMT-Gens bestimmt, die das Protein produziert. Die Variante des Gens mit der Aminosäure Valin an Position 158 in der Kette bewirkt mehr Enzymaktivität, tatsächlich viermal so viel, wie wenn sich an derselben Stelle die Aminosäure Methionin befindet. Dieser kleine Unterschied hat überraschende Auswirkungen und entscheidet vielleicht auch darüber, ob wir eher als »Krieger« leben oder als »Grübler«.
    »Es dreht sich um die Dopamindosis im zerebralen Kortex, und da kann man drei Konstellationen unterscheiden«, erklärt Weinberger. Am einen Extrem findet man Menschen mit zwei Kopien der Valin-Variante, sie haben am wenigsten Dopamin verfügbar. Das schlägt sich in körperlichen Wirkungen nieder, die man mit Gehirnaufnahmen direkt messen kann. Im Allgemeinen sind das Menschen, die kognitiv ein bisschen schlechter funktionieren – unter anderem schneiden sie bei bestimmten Gedächtnistests weniger gut ab. Andererseits können sie mit emotionalem Stress besser umgehen. Sie haben eine höhere Schmerzschwelle und streben unmittelbarer nach Belohnungen in Form von Aktivitäten, die die Dopaminausschüttung erhöhen. Das sind die Krieger. Sie brauchen mehr Dopamin, um sich lebendig zu fühlen. Weinberger ergänzt: »Es sind die Leute, die im Krieg das Maschinengewehrnest des Feindes angreifen und immer Ausschau nach dem nächsten aufregenden Kampf halten.«
    Am anderen Ende des Spektrums stehen die Personen mit zwei Kopien der Methionin-Variante. Die sogenannten »Met-Met«-Individuen sind kognitiv präziser und entsprechend besser bei vielen Gedächtnisleistungen, aber mit emotionalem Stress kommen sie nicht so gut zurecht. Das sind die, die sich immer Sorgen machen.
    »Ich habe zwei Kopien der Met-Variante«, werfe ich ein, denn natürlich habe ich mir diesen speziellen Polymorphismus in meinem Promethease-Bericht angeschaut. »Und ich mache mir wirklich viele Sorgen.

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