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Mein wundervolles Genom

Mein wundervolles Genom

Titel: Mein wundervolles Genom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lone Frank
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nachgedacht, ob ich mich womöglich selbst dort eingesperrt haben könnte. Macht sich da ganz subtil mein Genom bemerkbar? Meine Unterhaltung mit Kendler über den seltsamen Tango der unveränderlichen DNA und der dynamischen Psyche hat mir ein neues, tieferes Verständnis für mich selbst vermittelt.
    Sicher zurück in Washington, denke ich erneut an Dean Hamer, den Entdecker des »Schwulengens«. Oder vielmehr denke ich an etwas, das Hamer vor mehreren Jahren darüber gesagt hat, was nötig sei, damit die Verhaltensgenetik der Komplexität von Zwillingsstudien gewachsen sein könne.
    »Genetiker müssen endlich anfangen, mit Hirnforschern zusammenzuarbeiten, die immer raffiniertere Untersuchungsmethoden einsetzen, um die Funktionsweise des Gehirns zu analysieren. Statt zu versuchen, mit einem Sprung direkt vom Gen zum Verhalten zu kommen, müssen wir kleine Schritte machen. Vom Gen zur Biochemie, von der Biochemie zu den Vorgängen im Gehirn, vom Gehirn zum Verhalten.«
    Einer derjenigen, die solche Schritte unternehmen, ist Daniel Weinberger von den amerikanischen National Institutes of Health. Er hat den innovativen Forschungsansatz Imaging Genetics erfunden. Wie der Name sagt, will Weinberger Bilder der genetischen Vorgänge, die erforscht werden, erhalten. Er verbindet hochentwickelte Formen bildgebender Verfahren, die zeigen, was in einem lebendigen, denkenden und fühlenden Gehirn vor sich geht, mit dem Wissen, welche Genvarianten in dem konkreten Gehirn vorliegen. Dieser Ansatz erlaubt den Wissenschaftlern, über das Verhalten hinauszublicken direkt auf die Vorgänge im Gehirn.
    Nehmen wir zum Beispiel die Imaging-Studien zu unserem alten Freund SERT. Nach jahrelangen Debatten, wie – oder ob – das Gen an einer besonderen Empfänglichkeit für Depressionen und Neurotizismus Anteil hat, beschloss Weinberger 2002, es unter das Mikroskop zu legen. Er arbeitete mit Versuchspersonen, die entweder zwei Kopien der langen SERT-Variante hatten oder zwei Kopien der »sensiblen« kurzen Variante. Alle wurden in einen Magnetresonanztomografen geschoben, den man dazu eigens in einem Kino aufgestellt hatte. Die Freiwilligen mussten nichts weiter tun, als nur vollkommen ruhig dazuliegen, während ihnen Bilder von unbekannten Gesichtern gezeigt wurden, die verschiedene Gefühle ausdrückten, von Freude über Angst bis Wut. Auf den Gehirnaufnahmen der Probanden war dabei unterschiedliche Aktivität in der Amygdala, dem Mandelkern, zu erkennen. Dieses kleine Gehirnareal, das bei der Wahrnehmung von negativen Gefühlen wie Furcht, Ekel und Abscheu beteiligt ist, leuchtete auf, wenn die Forscher Bilder von angstvollen oder wütenden Gesichtern zeigten. 20
    Die »Sensiblen« unter den Studienteilnehmern – die mit den zwei kurzen SERT-Varianten – reagierten mit deutlich mehr Amygdala-Aktivität als die anderen. Na also! Damit hatte man doch etwas Konkretes. Statt einer vagen statistischen Verbindung zwischen einer Genvariante und einer komplexen Erkrankung wie der Depression hatten Weinberger und seine Kollegen einen konkreten biologischen Mechanismus identifiziert, der auf einen winzigen genetischen Unterschied zurückging. Es war der erste Blick in die geheimnisvolle Blackbox, die zwischen Genen und Verhalten liegt.
    Um Weinberger zu besuchen, habe ich mir ein Auto gemietet, aber sobald ich auf dem Gelände der NIH in Maryland ankomme, wird mir klar, dass das eine dumme Idee war. Ich fühle mich, als hätte ich eine Verabredung in einem Militärcamp vereinbart, nicht in einem Forschungsinstitut. Die Sicherheitskontrollen können mit denen am Flughafen locker mithalten. Wer das Pech hat, wie ich in einem Auto zu sitzen, muss aussteigen, damit ein Sprengstoffspürhund – ein freundlicher hellbrauner Labrador – jeden Zentimeter untersuchen kann. Während die empfindliche Nase des Labradors gewissenhaft den Abfall durchschnüffelt, den ich vor dem Beifahrersitz auf den Boden geworfen habe, und länger bei einer Socke verweilt, die irgendwie auf dem Rücksitz gelandet ist, werde ich in einem kleinen Glaskasten auf gefährliche Substanzen kontrolliert. Die Angaben in meinem Pass werden in eine Datenbank eingegeben, und als ich protestiere, entgegnet der Beamte am Computer nur: »Die Sicherheitsbestimmungen gelten seit dem 11. September.« Dann schaut er mich an und fügt noch »Ma’am« hinzu, was mich wütend macht.
    »Sie sollten sich lieber beruhigen«, rät ein anderer Wachposten. Die Wachen sind eine interessante

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