Mein wundervolles Genom
Mannschaft: alle sehr dunkelhäutig, mit identischem afrikanischem Akzent und Handfeuerwaffen – vermutlich geladen. Einer der freundlichen Herren schickt mich in Richtung von Nummer 10, dem großen, verzweigten Hauptgebäude auf dem Gelände, das sich als modernes Labyrinth entpuppt.
»Weinberger? Ist er Patient hier?«, fragt eine mürrische Frau am Empfang. Auf meine Erklärung, dass der Mann Professor ist und Leiter einer Forschungsgruppe in der Abteilung Neurogenetik, runzelt sie die Stirn und wirkt enttäuscht.
»Dann kann ich Ihnen nicht helfen.«
Ich frage an fünf verschiedenen Schaltern und werde in fünf verschiedene Richtungen geschickt – allesamt falsch. Schließlich erbarmt sich eine Frau meiner, nimmt mich an der Hand, und ich komme voran.
»Machen Sie sich nichts daraus«, sagt sie. »Bei mir hat es einen Monat gedauert, bis ich mich auf dem Weg zu meinem Büro nicht mehr verlaufen habe.«
Weinbergers Abteilung versteckt sich in einer abgelegenen Ecke hinter einer unscheinbaren Tür, die die herumeilenden Mitarbeiter in ihren Laborkitteln und die ungeduldigen Patienten draußen hält. Eine Sekretärin begrüßt mich und deutet auf einen bequemen Sessel. An der Wand gegenüber hängen Bilder von internationalen Tagungen, an denen Weinbergers Forschungsgruppe teilgenommen hat; interessanterweise scheinen sie ausnahmslos an Skiorten oder am Meer stattgefunden zu haben. Ein Foto sieht nach Alpen aus, und mehrere andere dürften – der Bekleidung und den kleinen Schirmchen auf den Longdrinks nach – auf Hawaii aufgenommen worden sein.
Auf allen Fotos strahlt Weinberger. Und als er kommt und mich begrüßt, macht er tatsächlich den Eindruck eines Mannes, der sich keine Party entgehen lässt. Sein Gesicht wirkt ein bisschen erschöpft, und die Tränensäcke sind beachtlich; seine Stimme klingt, als wäre schon eine Menge Tabakrauch durch seine Kehle gezogen, er spricht mit breitestem Brooklyn-Akzent. Er gehört zu der Sorte Menschen, mit denen man auf der Stelle ein Bier trinken möchte.
»Möchten Sie eine Limonade?«, fragt er. »Sie ist kalorienarm.«
Während er das Getränk holt, sehe ich mich in seinem Büro um: Es ist vollgestopft, die üblichen Familienfotos, auf der Fensterbank eine Reihe Bücher zwischen zwei Buchstützen, die wie die beiden Gehirnhälften aussehen. Ich frage mich, ob Wissenschaftler grundsätzlich eine Vorliebe für diese Art von Nippes haben. Sie besitzen anscheinend alle solche kleinen Abscheulichkeiten, die man im Büro eines Architekten oder Investmentbankers nie finden würde.
»Was kann ich für Sie tun?«
Weinbergers Auftreten ist der absolute Kontrast zu dem zurückhaltenden Kenneth Kendler, aber die beiden haben den gleichen wissenschaftlichen Ausgangspunkt: Sie haben als Psychiater mit einem besonderen Interesse für Schizophrenie angefangen. In den 1980er Jahren untersuchte Weinberger Dutzende von Zwillingspaaren, bei denen der eine schizophren war und der andere gesund, weil er hoffte, Einblicke zu bekommen, welchen Anteil die Gene bei dieser Krankheit haben. Ihn interessierte vor allem, ob es jenseits der Krankheit und ihrer Symptome Denk- oder Handlungsweisen gab, die die Erkrankten und die Gesunden gemeinsam hatten. Alles lief wunderbar, bis zu einer unerwarteten Wendung.
»Ich werde es nie vergessen«, sagt Weinberger mit kratziger Stimme. »Es war 1992, ich saß in einer Besprechung mit Harold Varmus, dem damaligen Leiter der NIH. ›Hallo!‹, begrüßte er uns alle, die wir sehr von uns überzeugt waren. ›Ihr untersucht jetzt seit zwanzig Jahren Schizophrenie und habt nichts von Bedeutung gefunden. Ab heute werdet ihr Genetik machen, Leute. Die Entschlüsselung des menschlichenGenoms ist in vollem Gang, dabei wird man Gene identifizieren, die bei Krankheiten und allen möglichen Arten menschlichen Verhaltens eine Rolle spielen. Wenn ihr euch nicht um Gene kümmert, werdet ihr bald eine Horde Dinosaurier im Zeitalter der Säugetiere sein.‹«
Weinbergers Lachen ist laut und herzlich.
»Ich wusste es gleich – der Mann hatte recht. Ich erforschte die Symptome der Schizophrenie, aber es war mir auf Anhieb klar, dass die kausalen Verbindungen in den Genen liegen mussten. Ich sagte mir, ich müsse ins Labor gehen und die nächsten zehn Jahre dort verbringen. Es war wie die Kulturrevolution in China: Wir vergeistigten Intellektuellen mussten samt und sonders in die Praxis gehen und Genetik betreiben.«
Manche Interviews sind leichter als
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