Mein zauberhafter Ritter
Schwesterherz. Bist du in den Burggraben gefallen?«
Ja, inzwischen schon zum dritten Mal, hätte sie am liebsten geantwortet. Doch stattdessen sah sie sich nur nach Dingen um, die schon seit Jahrhunderten verschwunden waren.
Oder vor fünf Minuten, es hing ganz von der Sichtweise ab.
Sie machte sich von Peaches los und ging auf der Brücke, die sich über Tess’ nahezu makellos reinen Graben spannte, hin und her. Jedes Mal blieb sie an der Stelle stehen, wo sich eigentlich das Tor hätte befinden sollen — und jedes Mal war da nichts.
Oder zumindest glaubte sie das, denn sie war so durchgefroren, dass sie kaum klar denken, geschweige denn ihre Umgebung zur Kenntnis nehmen konnte. Vor fünf Minuten hätte sie nur die Hand auszustrecken brauchen, um Montgomery de Piaget zu berühren, sich in seine Arme zu werfen und ihm zu sagen, dass sie ihn liebte, obwohl das aus einer ganzen Reihe von Gründen der absolute Wahnsinn war.
Und jetzt konnte sie ihm nicht einmal mehr einen Brief schreiben.
Ihr wurde ein wenig schwindlig, nur dass sie diesmal nicht umkippte. Im nächsten Moment spürte sie, wie sie von starken Armen hochgehoben wurde, und vor ihren Augen erschien ein vertrautes Gesicht.
Leider eines aus der Zukunft.
»O nein, nicht du«, stöhnte sie.
Stephen de Piaget wirkte ein wenig verdattert. »In letzter Zeit habe ich schreckliches Pech bei Frauen. Könnte es vielleicht an mir liegen?«
Pippa machte sich los. Dass er sie widerspruchslos freigab, zeigte, wie wenig er an die Entschlossenheit einer Frau gewöhnt war, die gerade einen halben Monat an der Seite eines mittelalterlichen Lords verbracht hatte. Allerdings griff er nach ihrem Arm. Als Peaches den anderen nahm, betrachtete Pippa ihre Schwester erstaunt.
»Ihr steckt mich doch jetzt nicht etwa auch in die Klapse?«
»Dusche«, befahl Peaches. »Bestimmt fühlst du dich besser, wenn du dich aufgewärmt hast.«
»Ich kann nicht reingehen«, widersprach Pippa.
»Doch«, beharrte Peaches. »Das kannst du. Und das wirst du auch. Ich komme später mit dir nach draußen, wenn du nicht mehr so durchgefroren bist.«
Eigentlich wäre Pippa lieber im Freien geblieben, aber sie ahnte, dass Widerstand zwecklos war. Peaches war dickköpfiger, als man ihr zugetraut hätte, und offenbar hatte sie Stephen eine wortlose Botschaft übermittelt, denn er umfasste ihren Arm fester. Wenn sie ihnen den Gefallen tat, würde sie es später vielleicht schaffen, sich aus dem Haus zu schleichen und dort Posten zu beziehen, wo sie das Tor vermutete.
Etwas anderes fiel ihr nämlich beim besten Willen nicht ein.
Und außerdem war eine Dusche im Moment eine paradiesische Vorstellung. Heiße Duschen standen nämlich eindeutig auf der Liste der Dinge, die sie an der Zukunft liebte und die sie so vermisste, dass sie es kaum noch erwarten konnte. Oder? Und nun trennten sie kurze fünf Minuten von etwas, nach dem sie sich wirklich gesehnt hatte.
Ein Jammer nur, dass sie dafür einen noch sehnlicheren Wunsch hatte aufgeben müssen.
Auf dem Weg über den Hof geriet sie ins Stolpern - und zwar einfach nur deshalb, weil sie so daran gewöhnt war, die Füße anzuheben, damit sie nicht im Morast versank. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie keine Schuhe an den Füßen hatte. Vielleicht hatte sie sie ja auf Montgomerys Hof verloren. Als sie nach unten schaute, spürte sie, wie die Welt sich zu drehen begann. Nur Stephens Arm um ihre Schultern verhinderte, dass sie bäuchlings umkippte.
»Soll ich dich jetzt vielleicht tragen?«, fragte er freundlich.
Benommen sah sie ihn an. Er ähnelte Montgomery so sehr -und dann wieder doch nicht, denn er war der Inbegriff der modernen Eleganz und hatte so gar nichts Ungehobeltes an sich. Dass er je sein Schwert zücken würde, um einem Widersacher ernsthaft Schaden zuzufügen, war höchst unwahrscheinlich. Ein sehr sympathischer Mann, ohne Zweifel, aber eben nicht der Mann ihrer Träume ...
Aber nein, sie träumte doch gar nicht von Montgomery de Piaget! Pippa klammerte sich an diesen Gedanken, als hinge der letzte Rest ihrer geistigen Gesundheit davon ab. Natürlich freute sie sich, wieder in ihrer Zeit mit ihrem Komfort und der schier unerschöpflichen Auswahl an Dingen zu sein. Sie konnte es kaum erwarten, Käsechips in eine große Schüssel zu kippen, alles in sich hineinzustopfen und sich den künstlichen Käsegeschmack auf der Zunge zergehen zu lassen.
Sie hielt inne. Auf einmal erschien ihr diese Aussicht gar nicht mehr so
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