Mein zauberhafter Ritter
noch einen letzten Rest Vorbehalte gegen ihn gehegt haben sollten, waren sie ihm nun rettungslos verfallen. Pippa beobachtete, wie sie einen raschen beifälligen Blick wechselten und sich dann Sitzplätze suchten, um besser um Montgomery herumscharwenzeln zu können. Am liebsten hätte sie ihnen einen warnenden Rippenstoß versetzt oder sie böse angesehen, doch eigentlich konnte sie ihnen keinen Vorwurf machen; schließlich war sie keinen Deut besser.
Und außerdem war es ja ihre Hand, die er festhielt.
Er ließ sie lange genug los, um das leckere Rindfleisch mit Gemüse und Vollkornbrötchen in Augenschein zu nehmen. Anfangs kostete er ein wenig zögerlich davon, doch offenbar schmeckte es vertraut genug, um alles mit offensichtlichem Genuss zu verspeisen. Das Glas Wein, das Peaches im reichte, schien ihm hingegen nicht so zu behagen, doch gegen das Wasser hatte er nichts einzuwenden. Pippa hatte selbst auch noch nichts gegessen. Sie hätte nichts heruntergebracht, weil sie zu sehr damit beschäftigt war, ihn anzuschauen.
Offen gestanden hatte sie nicht damit gerechnet, ihn wiederzusehen. So viel Zeit hatte sie damit verbracht, sich einzureden, dass sie das auch gar nicht wollte, dass in ihrem Leben nun endlich Normalität eingekehrt war und dass sie sich glücklich, glücklich, glücklich fühlte.
Sie war eine schauderhafte Lügnerin.
Und genau das war es, was in ihr großes Unbehagen auslöste. Sie brauchte die Zukunft mit ihren Verheißungen, nicht die Vergangenheit mit ihren bröckelnden Gemäuern und Menschen, die sie umgebracht hätten, ohne mit der Wimper zu zucken. Mord und Blutvergießen waren doch etwas fürs Kino ...
Mord und Blutvergießen.
Plötzlich wurde ihr sehr seltsam zumute, und die Eindrücke aus ihrer Lektüre vom Nachmittag stürmten übermächtig auf sie ein. Wenn man den Historikern glauben konnte, würde der Mann neben ihr sehr bald entweder sterben oder so schwer verwundet werden, dass er sein restliches Leben als Schatten seiner Selbst fristen musste.
»Pippa?«
Sie spürte, wie er den Arm um sie legte, drehte sich zu ihm um und schmiegte das Gesicht an den Stoff seiner Tunika, weil es so einfacher war, ihre Miene zu verbergen.
»Es ist nichts«, stieß sie hervor.
»Du hast einen langen Tag hinter dir«, murmelte er. »Vielleicht sollte ich dich zu deinem Gemach begleiten.«
Pippa starrte ihn entgeistert an. Sie hatte ihre düstere Zukunft bereits geplant und um das getrauert, was seine Zukunft für ihn bereithielt. Ganz tapfer hatte sie ihren Weg weitergehen und sich mit ihrem Schicksal abfinden wollen.
Und dann hatte sie ihn plötzlich auf der anderen Seite des Rittersaals gesehen, und mit einem Mal war alles anders gewesen.
Sie rückte etwas von ihm ab und blickte in seine wunderschönen grauen Augen. »Ich finde schon allein hin.«
»Ich werde morgen noch hier sein, Persephone.« Er führte ihre Hand an die Lippen. »Falls du nichts dagegen hast, dass ich bleibe.«
Da sie befürchtete, die Beherrschung zu verlieren, wenn sie auch nur ein Wort sagte, drückte sie seine Hand und hoffte, dass er das verstehen würde.
Stephen erhob sich und verbeugte sich tief vor Montgomery.
»Nehmt mein Zimmer, Mylord«, meinte er, wobei er Montgomerys Sprechweise ziemlich gut traf. »Ich werde mir ein anderes Quartier suchen. Wenn Ihr möchtet, werde ich Euch morgen auch saubere Kleidung bringen.«
Montgomery musterte ihn prüfend. »Kannst du mit einem Schwert umgehen, Stephen?«
Pippa konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Stephen de Piaget war zwar kein Feigling, schluckte aber sichtlich.
»Ich könnte einen Versuch wagen.«
»Dann lass mich die Dame zu ihrem Schlafgemach begleiten. Anschließend erörtern wir deine Fähigkeiten, damit ich sehe, ob sie meinen Ansprüchen genügen.« Er blinzelte und blickte Pippa an. »Jetzt klinge ich schon wie Robin.«
»Dann leg dich lieber schlafen, bis es aufhört«, erwiderte sie.
Als er lächelte, kam sein Grübchen besonders gut zur Geltung. »Ich denke, du könntest recht haben. Wir wollen gehen. Sicher wird es morgen hier viele Wunderwerke zu bestaunen
geben.«
Wie sie vermutete, ahnte er gar nicht, was ihm bevorstand. Und dagegen, dass er anscheinend nicht vorhatte, ihre Hand loszulassen, hatte sie nicht das Geringste einzuwenden. Nach einem raschen Blick auf ihre Schwestern verließ sie mit Montgomery und Stephen die Küche und kehrte zurück in den Saal. Allmählich zerstreuten sich die Festgäste, doch Pippa hatte nicht
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