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Meine 500 besten Freunde

Meine 500 besten Freunde

Titel: Meine 500 besten Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Adorján
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frühestens einer Stunde loszufahren, sie wolle sich noch mal hinlegen und ein bisschen schlafen, was er natürlich verstand.
    Nachdem sie aufgelegt hatte, wickelte sich Angie das Handtuch vom Kopf und föhnte sich die Haare. Anschließend legte sie ein wenig Rouge und Lipgloss auf, tuschte die Wimpern und tupfte sich Chanel No. 5 auf Ohrläppchen und Handgelenke. Vorsichtshalber gab sie noch einen Tropfen auf die Schamhaare, die sie sich, seit sie beim Kulturteil war, wieder stehen ließ. Dann schlüpfte sie in ein Kleid, das für die Temperaturen zu dünn war, ihr aber schon viele Komplimente eingebracht hatte. Nach langem Überlegen entschied sie sich für Schuhe mit extrem hohen Absätzen. (Dagegen sprach, dass sie den beabsichtigten unschuldigen Eindruck des Kleides zunichtemachten; dafür, dass sie toll aussahen und auf Kommunikationsebene praktische Dienste leisten würden, denn Herr Bartholomé war ja sehr groß.) Sie legte sich den blasslila Paschmina-Schal um die Schultern, den sie preiswert auf Ebay erstanden hatte und der ihr für den Abend passender erschien als eine Jacke.
    Ihre finanziellen Möglichkeiten eigentlich übersteigend, leistete sie sich ein Taxi zu dem Club in Schöneberg, in dem Liza Minnelli auftreten würde, denn sie wollte den Moment, an dem ihre Füße zu schmerzen begannen, möglichst lange hinauszögern. Sie hatte Herrn Bartholomé eine knappe Mail mit dem Inhalt geschickt, dass sie eine Karte für ihn habe auftreiben können und zehn Minuten vor Konzertbeginn vor dem Eingang auf ihn warten würde. Der finalen Version war nicht anzumerken gewesen, wie lange sie an der Formulierung gesessen hatte. Aus Sehr geehrter war Lieber Herr Bartholomé geworden, aus herzlichen freundliche und schließlich viele liebe Grüße , bis sie mit besten endlich zufrieden gewesen war.
    Irgendetwas musste an diesem Abend in der Stadt los sein, es herrschte dichter Verkehr, und auf der Torstraße stand das Taxi so lange im Stau, dass Angie schon anfing, sich Sorgen zu machen, doch dann nahm der Taxifahrer, der entweder kein Deutsch sprach oder keine Lust hatte, mit seinen Fahrgästen zu reden, eine unvermutete Abzweigung, und pünktlich auf die Minute waren sie da. Das Chin Chin war ein plüschiger kleiner Club, der sich im Erdgeschoss eines Wohnhauses befand und von außen an seiner roten Markise zu erkennen war. Angie war einmal in Begleitung eines schwulen Freundes dort gewesen, hatte von jenem Abend aber nur in Erinnerung, sich zwischen all den Schnurrbartträgern und Dragqueens aus lauter Langeweile fürchterlich betrunken zu haben. Irgendwann hatte sie sich einfach auf eine Bank gelegt. Der Geschmack von Whiskey war für sie seither untrennbar mit rotem Samt verknüpft.
    Vor dem Eingang standen etwa zwanzig Leute, und da es in der Mehrzahl Männer um die 30 in Cordhosen waren, durchzuckte sie der Gedanke, Herrmann könne unter ihnen sein. Doch nachdem sie alle der Reihe nach durchgesehen hatte, war sie beruhigt. Herrn Bartholomé hatte sie allerdings auch nicht entdeckt. Sie stellte sich abseits der Wartenden auf den Bürgersteig und ging im Geiste durch, was sie sich für den Abend vorgenommen hatte:
– wenig trinken, vor allem nichts Hochprozentiges
– freundlich und interessiert wirken
– möglichst nicht über die Arbeit sprechen
– den Schal an der Garderobe abgeben
– nichts selbst initiieren, sondern ihn kommen lassen
– falls sich Gelegenheit ergäbe, erwähnen, dass sie Bernard Henri-Lévy einmal die Hand geschüttelt hatte, dies anders formulieren
    Sie hatte das Gefühl, irgendeinen Punkt vergessen zu haben, doch in diesem Moment tippte sie jemand von hinten an die Schulter. Sie drehte sich um. »Oh hallo.« Vor ihr stand Christine, die während Angies erster Woche in der Kulturredaktion dort auch Praktikantin gewesen war; soweit Angie wusste, machte sie jetzt ein Praktikum bei der direkten Konkurrenz. »Was machst du denn hier?«, fragte Christine. »Schreibst du was? Ich dachte, du sollst Kunst machen.« »Ja«, sagte Angie kühl. Sie wusste, was Christine von ihr hielt, seit sie eine Mail gelesen hatte, die Christine einer anderen Praktikantin zugedacht hatte, welche dummerweise vergessen hatte, sie zu löschen. (Die Praktikanten teilten sich eine Mailadresse.) »Ich schreibe darüber. Du auch?« »Ja«, sagtlic»Ja«,e Christine, nun ebenso kühl. Dann verdrehte sie auf einmal die Augen. »Was macht der denn hier?« Angie, die mit dem Rücken zur Straße stand, drehte sich um.

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