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Meine 500 besten Freunde

Meine 500 besten Freunde

Titel: Meine 500 besten Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Adorján
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Debüt, das im Herbst vor zwei Jahren erschienen war, wenn auch kaum literarisches Feingefühl, so doch wenigstens eine geballte Ladung Wut und eine tiefe Traurigkeit zu finden war – es ging um einen jungen Mann mit einem immensen Drogenproblem –, versuchte es der Autor jetzt offenbar zur Abwechslung mit etwas möglichst Unautobiographischem. Der neue Roman handelte von einer alten Frau, die seit einem missglückten Selbstmordversuch an den Rollstuhl gefesselt ist und in unendlich gezierten Sätzen über 300 Seiten lang ihr Leben Revue passieren lässt. Der Arbeitstitel – »Gratislover in Bratislava« – ist so ziemlich das Einzige, das Johann bei dem heutigen Treffen nicht zu kritisieren vorhat, wenn er sich inhaltlich auch nur auf eine kurze Passage bezieht, in der sich die Protagonistin an ein amouröses Erlebnis erinnert, das sich in den vierziger Jahren in der Slowakei zutrug, die damals freilich noch – Johann würde den Autor darauf hinweisen müssen – Tschechoslowakei hieß. Es ist der mit Abstand unerfreulichste Termin, den er seit langem zu absolvieren hat.
    Als auf einmal die Journalisten an den Nebentischen ihre Gespräche unterbrechen und gleichzeitig wie in einer Choreographie ihre Köpfe in Richtung Eingangstür wenden, weiß Johann auch ohne hinzusehen, dass seine Verabredung das Lokal betreten hat. Viktor gilt als Star-Autor. Vielmehr tat er das für zwei Saisons, bis im vergangenen Herbst eine noch viel jüngere Autorin vor die Scheinwerfer der Literaturkritik geriet, Janine Schimmelpfennig, deren Debüt, »Dramentoilette«, eine noch viel krassere Innenansicht einer vollends kaputten Jugend lieferte. Bei ihr war es nicht mit einer ordinären Kokainsucht und melancholischen Aufenthalten in Entzugskliniken am Bodensee getan. Ihre Protagonistin, die gewitzterweise genauso hieß wie sie, war außerdem von ihrem Vater missbraucht worden und nahm vollgedröhnt an Gangbang-Parties teil, die so realistisch beschrieben waren, dass gemutmaßt wurde, die Autorin habe das alles selbst erlebt. Ein Bombenerfolg, das Buch verkaufte sich mehr als eine halbe Million Mal. Janine Schimmelpfennig hatte wasserstoffblond gefärbte Haare, die sich in einer Rockabilly-Welle über ihrem sechzehnjährigen Kindergesicht auftürmten, trug Springerstiefel zu kurzen Kleidern und scheute sich nie, in Interviews für ihre ganze Generation zu sprechen. Johann kam sie wie die Erfindung einer PR-Agentur vor. Und mit Entschlossenheit kämpfte er seinen sich hin und wieder meldenden Zweifel nieder, ob er selbst nicht einfach ein riesengroßer Spießer war. Natürlich schrieb Schimmelpfennig schlechter als Kafka, war Viktor M., wie dieser sich geheimnisvoll nannte (in Wahrheit hieß er schlicht Meier, wie Johann wusste, sogar ohne Ypsilon), kein neuer Goetz, aber immerhin schufen sie etwas, schrieben, wagten sie etwas, während er, Johann, nur anderer Leute Manuskripte lektorierte, unsichtbar in zweiter Reihe wirkend, mittelmäßig bezahlt, höchstens in parasitärer Weise originär.
    Als die Journalisten ihre Gespräche wieder aufnehmen, sieht nun auch Johann zur Tür. Viktor steht im Eingang und spricht mit der Frau, die die Plätze zuweist. Offenbar sagt er etwas Witziges, denn die Frau wirft lachend ihren Kopf in den Nacken, ihr Pferdeschwanz hüpft vor Begeisterung. Obwohl es ein kühler Tag ist, trägt Viktor keine Jacke über seinem himbeerfarbenen Pullover, der bestimmt teuer war. Dagegen sehen seine Jeans abgerissen aus, wobei, wie Johann annimmt, vor allem die Löcher jeweils ein Vermögen gekostet haben. Über der Schulter hat er eine Tasche, und dass er braune Segelschuhe trägt, bestätigt Johanns Vorurteile aufs Schönste. Blöder Popper, denkt er zufht denkt erieden und macht sich bereit für ein Lächeln, das lässig und gewinnend wirken soll, wegen des Mürrischbleibens der Augenpartie in der B-Note aber deutliche Punkt-Abzüge erzielt. Viktor sieht ihn nun auch, lächelt seinerseits, nein, lacht, winkt sogar, nickt der Empfangsdame zu und setzt sich in Bewegung. Er tut, als bemerke er die Blicke der Journalisten gar nicht, an deren Tischen er vorbeigeht, nein, -schlendert. (So also geht ein Star-Autor.)
    Johann, der die Zeitung schnell weggelegt hat, hatte vorgehabt aufzustehen, um Viktor zu begrüßen, er hatte ein joviales Händeschütteln geplant, sogar ein Schulterklopfen einkalkuliert, doch Viktor setzt sich so schnell, dass Johann sitzen bleibt. »Grüß Gott«, sagt Viktor, und Johann wiederholt es im

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