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Meine 500 besten Freunde

Meine 500 besten Freunde

Titel: Meine 500 besten Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Adorján
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gleichen herzlichen Tonfall, obwohl keiner von ihnen aus Bayern kommt. Und schon hält Viktor die Speisekarte in der Hand, die Johann zuvor extra noch nicht angesehen hatte, er hatte es gemeinsam machen wollen, auf dem Tisch liegt aber nur eine, weshalb er nun suchend nach der Kellnerin Ausschau hält, die gerade weit hinten an einem anderen Tisch steht und keinerlei Interesse daran zeigt, ob jemand nach ihr guckt. Also beschließt Johann, dass er einfach dasselbe nehmen wird wie immer, wenn er hier einen seiner Autoren trifft, also Penne all’arrabiata, dazu einen kleinen gemischten Salat.
    »Ich nehme Risotto mit Garnelen«, beschließt Viktor seine Lektüre nach wenigen Sekunden und legt die Speisekarte ab, wobei er versehentlich das Messer vom Tisch schiebt, das mit lautem Knall auf dem Marmorboden aufschlägt. Johann und er bücken sich gleichzeitig, stoßen mit den Köpfen zusammen, Viktor sagt »Aua«, Johann »Verzeihung«. Als sie wieder gerade sitzen, und das Messer wieder neben Viktors Teller liegt, fühlt Johann die Schwere der bevorstehenden Situation in sich aufsteigen. Nun würde diplomatisches Können gefragt sein, das Kerngeschäft eines guten Lektors, für den er sich durchaus hält, und dies erforderte ungeheure Konzentration. »Ja, dann bestellen wir vielleicht erst mal«, sagt er, doch so leicht lässt sich sein Autor nicht austricksen. »Haben Sie es ganz gelesen?« Johann weicht seinem Blick aus. »Wollen wir nicht erst mal?« Er richtet seinen Blick erneut nach der Kellnerin suchend in den Raum, auf keinen Fall will er vor dem Bestellen schon über das Manuskript sprechen, denn was zu allem anderen noch erschwerend hinzukommt, ist, dass er schrecklichen Hunger hat. »Nur ein erster Eindruck«, sagt Viktor, drängelnd, »ich konnte die ganze Nacht kaum schlafen, weil ich so aufgeregt bin.« Es habe ja noch niemand gelesen, fügt er entschuldigend hinzu.
    In diesem Moment tritt die Kellnerin mit der Flasche Wasser an den Tisch und fragt, ob die Herren schon bestellen wollen. Vor lauter Dankbarkeit vergisst Johann, höflich zu sein, und diktiert seinen Wunsch. Dann fällt ihm seine Unachtsamkeit auf und er bestellt noch das Risotto für Viktor, der sich unterdessen ein Glas Wasser einschenkt, seinerseits auch nicht höflich, denn er schraubt anschließend den Verschluss wieder auf die Flasche und denkt offenbar nicht daran, dass sein Lektor auch durstig sein könne. Leider dauert der Auftritt der Kellnerin insgesamt nicht einmal eine Minute, dann ist sie wieder fort und Johann an derselben Stelle, wo er vor ihrem Erscheinen gewesen war. Ein Autor fordert seine Meinung. Genauer: ein Autor, dessen Werk Johann ebenso gering schätzt wie seine Person, erwartet eine erste, allererste Reaktion auf seine Arbeit der letzten Monate, vielleicht Jahre, und es ist nun an Johann, sich seine Ablehnung nicht anmerken zu lassen, denn das wäre in höchstem Maße unprofessionell und auch nicht im Sinne seines Verlags, dem natürlich alleine schon wegen des zu erwartenden finanziellen Erfolgs an der Zufriedenheit dieses Autors gelegen ist. Nein, er muss hier nun konstruktiv Kritik en wst Kritikben, nicht im vollen Ausschlag, sondern fein-getuned, muss hier und dort auch etwas lobend hervorheben, um den Star-Autor nicht zu verärgern. Aber was?
    Viktor hat sich Johann inzwischen mit seinem ganzen Oberkörper zugewandt, sitzt leicht nach vorne gebeugt und sieht ihn voller Erwartung an. Nun muss Johann etwas sagen. Weil ihm aber nicht sofort einfällt, was, und er diesen Umstand damit zu überspielen versucht, dass er sich nun seinerseits ein Glas Wasser eingießt, ist es erneut Viktor, der das Wort ergreift. »Sie mögen es nicht.« »Doch, doch«, lügt Johann. »Ich mag es, ich mag es.« »Ja?« Das Gesicht vor ihm hellt sich auf. »Ich habe es gestern gelesen. Ein sehr schöner Titel.« Er ärgert sich. Eigentlich hatte er sich das für später aufheben wollen. Nun gut, er würde sich also noch etwas weiteres Positives einfallen lassen müssen, später. »Ja?«, sagt Viktor, der jetzt wirklich nervös scheint. Er rutscht auf seinem Stuhl hin und her, mal hat er die Hände auf dem Tisch, dann sind sie wieder darunter, dann wieder nestelt er an seinem Schnurrbart, den er sich offenbar vor Kurzem erst hat stehen lassen, auf keinem der jüngeren Fotos in der Presse hatte Johann ihn damit gesehen. »Ich bin mir gar nicht so sicher mit dem Titel«, sagt Viktor. »Ich hatte auch noch andere Vorschläge. Aber er

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