Meine beste Feindin
der Nachbarwohnung auf und der Ärgerliche Erwin trat in den Flur - bekleidet mit demselben schäbigen Bademantel wie immer.
»Also wirklich, Fräulein Curtis«, schimpfte er. »Das geht langsam zu weit. Wissen Sie denn nicht, wie spät es ist?«
»Halb zwölf«, warf Henry in übermäßig höflichem Tonfall ein, als hätte sich mein Nachbar tatsächlich nach der Uhrzeit erkundigt. Vielleicht war Henry einfach nur ein Besserwisser? Aber dann wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder Erwin zu.
» Frau Curtis, wenn ich bitten darf«, äußerte ich spitz. Henry gab mir mit Blicken zu verstehen, ich solle lieber meinen Mund halten.
»Ihr Hund bellt schon seit Stunden«, legte Erwin wieder los.
Das war glattweg gelogen. Selbst in diesem Augenblick, als wir direkt vor der Tür Radau machten, gab Linus, der Wunderwachhund, keinen Mucks von sich.
Linus bellte grundsätzlich nur, wenn er a) nach draußen wollte, während ich schlief, b) fressen wollte, während ich schlief, oder c) auf jeden losgehen wollte, der so dumm war, bei mir zu klingeln. Jegliche andere Anlässe? Also bitte. Dafür war er viel zu faul.
»Na, jetzt scheint er ja ruhig zu sein«, versuchte Henry zu helfen.
Erwin fuchtelte mit seinem Notizbuch vor meiner Nase herum. »Ich werde dem Vermieter eine Beschwerde unterbreiten! Sie werden schon sehen!«
»Schön«, schnaubte ich. »Tun Sie sich keinen Zwang an. Das machen Sie doch bestimmt schon seit Monaten. Dem Vermieter ist schnurzegal, was hier läuft, außer, er kann irgendwie Geld rausholen. Aber das wissen Sie ja so gut wie ich.«
»Diese Bemerkung sollte ich wohl auch notieren«, grummelte Erwin und wühlte tatsächlich in seiner Tasche herum, bis er etwas zum Schreiben fand. Seine Hand schnellte mit einem Stift wieder hervor, Erwin schob die Zungenspitze zwischen die Zähne, schlug das Büchlein auf und begann, mit seiner lächerlich winzigen Schrift die Vorgänge zu protokollieren.
Nach dieser Szene erschien mir Henrys Anwesenheit in der Wohnung als das kleinere Übel.
»So«, sagte ich, als ich uns in Sicherheit gebracht hatte, Linus schlabbernd an Henry hochsprang und Erwin draußen vor der Tür blieb, wo er meinetwegen noch die ganze Nacht in seinem Büchlein Notizen machten konnte. »Willkommen in meiner bescheidenen Hütte.« Ich beobachtete Henry, als ich das Licht einschaltete und er die endlosen Bücherberge in Augenschein nahm. »Pass bloß auf. Einige der Stapel sind unberechenbar.«
»Den Spruch kenne ich noch aus dem College«, murmelte Henry.
Ich zog es vor, darauf nichts zu erwidern, und verschwand im Schlafzimmer. Dank der Wagenladung Kleider, die von dem Regal darüber herunterhing, schloss die Tür nicht richtig, aber ich stemmte mich trotzdem dagegen.
Henrys Anwesenheit in meinen vier Wänden war mir geradezu schmerzlich bewusst. Ich hielt einen Moment inne und stellte mir vor, wie er mit einem überlegenen Grinsen in meinem Wohnzimmer stand. Mir wurde ganz mulmig. Würde er von meinen Büchern auf mich schließen? Denn das hätte ich an seiner Stelle getan. Ehrlich gesagt hatte ich das schon getan, als ich in seiner Bibliothek war. Bestimmt hatte er für Liebesromane nur ein müdes Lächeln übrig, redete ich mir ein. Und er würde sicher denken, dass der neueste Schrei auf dem Buchmarkt, ein literarischer Wälzer von achthundert Seiten, nur dalag, um Eindruck zu schinden. Oder dass die dicken Philosophiebücher einzig dem Zweck dienten, mich in den Augen meiner Besucher intellektuell erscheinen zu lassen. Ich konnte die abschätzigen Gedanken geradezu hören, die ihm beim Anblick meiner Nora-Roberts-Hardcover-Sammlung durch den Kopf gingen, diesem Snob!
Ich zog mein neues Kleid aus und schlüpfte in die nächstbeste saubere Jeans. Draußen war es viel zu kalt, und ich wollte Helen nun wirklich nicht blaugefroren gegenübertreten. Ich zog einen Rolli über und band die Haare zum Pferdeschwanz zusammen. Dann noch ein Paar Stiefel und fertig.
Als ich zurück ins Wohnzimmer kam, gegen jede Kritik an meinem Lesestoff gewappnet, lag Henry auf der Couch und kraulte meinen begeisterten - verräterischen - Hund, der sich neben ihm ausstreckte. Henry sah völlig entspannt und kein bisschen versnobt aus. Ich blieb wie angewurzelt stehen.
»Das ging aber schnell«, meinte er.
»Wir müssen uns gar nicht lange aufhalten.« Ich sah Linus finster an. So viel also zur tiefen Verbundenheit zwischen Hund und Herrchen. Linus ignorierte mich völlig.
»Irgendwann muss ich noch mal
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