Meine beste Feindin
sie anstarrten. Einige Sekunden verstrichen, schließlich atmete jemand heftig aus - vielleicht war ich es, keine Ahnung -, und dann drehte sie sich um, kreuzte die Arme vor dem Bauch und rauschte die Treppe hinunter, als ließe sie nicht gerade die Scherben unserer Freundschaft hinter sich.
Kapitel 15
Irgendwie schien jedes Lied im Radio von gebrochenen Herzen zu handeln. Was kann ich tun, damit er mich nie verlässt, wie soll ich leben, jetzt, wo sie fort ist, werden wir wieder zueinanderfinden, er wird mich niemals richtig lieben, womöglich hat er mich nie geliebt etc. Herzschmerzradio auf jeder Frequenz, und wenn einem das noch nicht reichte, musste man nur jeden x-beliebigen Fernsehsender zur Hauptsendezeit einschalten, um sich so richtig die Dröhnung zu geben.
Aber niemand erklärte, was zu tun war, wenn die beste Freundin mit einem Schluss gemacht hatte. Zu diesem Thema existierte keine eigene Medienlandschaft. Es gab Edie Brickells Circle of Friends , und das war’s.
Ganz ohne die Hilfe eines Songs musste ich bald feststellen, dass es keinen großen Unterschied machte, ob die beste Freundin einem dem Laufpass gab oder man in die Küche des Freundes spazierte, nur um festzustellen, dass er gar nicht mehr der eigene Freund war. Meine persönliche kleine Welt zersprang mit einem großen Knall in tausend Stücke, aber die reale Welt nicht.
Ich tat, was ich konnte, um die Sache irgendwie durchzustehen.
Amy Lee verschwand aus dem Flur und wenig später auch von der Party. Georgia und ich wagten kaum, uns anzusehen, nicht in diesem Moment und auch nicht später, als Henry uns in seinem Jeep mal wieder quer durch Massachusetts kutschierte. Ich wandte mich zu ihr, als der Wagen vor ihrer Haustür hielt, aber sie hob nur schweigend die Hand. Sie schien mich nicht gerade zum Reden aufzufordern. Die Geste sagte eher Bitte, nicht . Aber immerhin hatte sie die Hand in meine Richtung gehoben.
»Ich kann nicht«, stieß sie mit einer erstickten Stimme hervor, die ich kaum wieder erkannte. »Okay, Gus? Ich kann nicht.«
Was genau sie nicht konnte - mit mir sprechen, mich ansehen, mit dem umgehen, was passiert war -, erklärte sie nicht.
Sie stieg einfach aus und verschwand im Gebäude. Ich sah zu, wie sich die Haustür hinter ihr schloss und fragte mich - ein wenig abwesend, denn ich war so erstarrt, wie man es nur sein konnte, ohne sich tatsächlich in Stein zu verwandeln -, ob ich sie je wiedersehen würde.
Vor meiner Wohnung blickte ich aus dem Augenwinkel Henry an.
»Willst du mit hochkommen?«, fragte ich.
Er lächelte und streckte die Hand aus. Ich stellte fest, dass er immer bildschön war, ganz egal, was auch passierte, und das machte mich irgendwie traurig. Zumindest ansatzweise traurig.
Er nahm meine Hand und führte sie an seine Lippen. Ich glaube, er küsste den Handrücken, aber ich bin nicht sicher, denn ich war völlig taub.
»Ich denke nicht«, sagte er.
Er war so lieb. Aber es war trotzdem eine Abfuhr. Aufgrund der ich mich später, viel später, tagelang gedemütigt fühlen würde, das war mir schon klar, aber in diesem Moment war mir alles egal.
Ich zuckte nur mit den Achseln und ging ins Haus.
Als ich dort mit meinem Hund im Dunkeln saß, fragte ich mich, wann wohl die Tränen kommen würden und ob ich sie überleben konnte.
Am Morgen stand ich auf und ging zur Arbeit. Ich fühlte mich zwar, als ob jemand die Welt aus den Fugen gehoben hätte, aber es brachte ja auch nichts, zuhause zu sitzen und darüber nachzugrübeln. Ich zog mich an, ohne darauf zu achten, was ich da überstreifte, was möglicherweise zu einer Kombination von erlesener Eleganz führte. Ich kann es nicht sagen, weil mir alles egal war und ich nicht darauf achtete.
Als ich auf der breiten Museumstreppe stand, wusste ich nicht einmal, wie ich hergekommen war. Ich trat durch die schwere Eingangstür, und von diesem Moment an war es, als ob jemand anderes meine Arbeit für mich tat, meine Bewegungen für mich ausführte.
Es war seltsam, dass Minerva es nicht bemerkt hatte, dachte ich, als ich von der Toilette zurückkam und sie in bunte Tücher gehüllt auf dem Besucherstuhl vorfand. All den Ticks und wahnwitzigen Ideen zum Trotz war Minerva normalerweise ziemlich gut darin, meine emotionalen Höhen und Tiefen zu erkennen. (Das sollte sie wohl auch - denn die ließen sie erst richtig aufblühen.)
Ich sah zu, wie sie sich in dem Stuhl neben meinem Schreibtisch noch bequemer zurechtsetzte. Minerva liebte gewagte
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