Meine beste Feindin
am besten formulieren sollte. Das Ergebnis: »Wie hat eure Freundschaft so lange gehalten? Wie schafft ihr es, euch nicht zu streiten?«
»Überhaupt nicht«, lachte Minerva. »Wir liegen uns ständig in den Haaren. Sie behauptet, ich würde immer im Mittelpunkt stehen wollen. Dabei ist sie hinter all dem verantwortungsvollen Getue furchtbar unreif. Darüber werden wir wohl noch bis ins Grab streiten.«
»Aber hattet ihr nie so einen richtigen Krach?«, hakte ich nach. »So einen Streit, bei dem ihr nicht sicher wart, ob ihr überhaupt noch Freundinnen sein würdet?«
Dabei konnte man von dem Vorfall mit Amy Lee gar nicht sagen, dass es ein Streit gewesen wäre. Denn dann hätte ich ja irgendwie daran teilnehmen müssen. Stattdessen hatte ich einfach nur dagestanden, während sie mich in die Wüste schickte.
Minerva schlug die Beine übereinander und dachte nach.
»Du musst mir keine Einzelheiten verraten«, versicherte ich. Was natürlich unnötig war. Minerva liebte es, auch das überflüssigste Detail mit einzubringen. Sie sah nachdenklich aus.
»Ich erinnere mich auch gar nicht mehr genau«, sagte sie nach kurzem Schweigen. »Ich weiß noch, dass wir eine Zeit lang nicht miteinander geredet haben. Da sollte man doch meinen, dass ich noch wüsste, warum. Ich glaube, das Ganze zog sich über Monate hin. Ich war so wütend auf sie - ich hatte mir geschworen, nie wieder mit ihr zu sprechen außer natürlich, falls sie sich umfassend bei mir entschuldigte.«
»Was hatte sie denn getan?«
»Sie hat mir ihre Unterstützung versagt«, enthüllte Minerva in verschwörerischem Tonfall. »Ich hatte damals vor, ein Yogastudio zu eröffnen, und sie war davon überhaupt nicht begeistert. Ihrer Meinung stand ich unter dem Einfluss eines gewissen jungen Herrn, den wir damals kannten« - sie schlug geziert die Augen nieder -, »obgleich ich ihr immer wieder versicherte, dass meine Liebe zum Yoga weit über jede mögliche Beziehung zu ihm hinausging.« Sie seufzte. »Es war äußerst unangenehm.«
»Hast du ein Yogastudio, von dem ich nichts weiß?«, fragte ich und strengte mich wirklich an, dabei ernst zu bleiben. Ich bemühte mich, aus meinem Kopf die Bilder zu vertreiben, in denen Minerva sich an Yogaübungen versuchte oder sich auf einer Gymnastikmatte verrenkte. Es war nicht leicht. Und falls es im Museum nicht noch einen geheimen Dachboden gab, von dem ich nichts wusste, hatte Dorcas wohl Recht behalten.
»Es wurde nichts daraus«, sagte Minerva mit einem so tiefen Seufzer, als schmerze sie der Verlust des Studios bis heute. »Obwohl ich es liebe, Yoga zu praktizieren, und ich wünschte mir oft … Aber das gehört nicht hierher. Sie war so überheblich - das konnte ich einfach nicht hinnehmen. Wir haben uns furchtbar gestritten und dann nicht mehr miteinander geredet. Du kennst doch Dorcas.«
Und ob ich Dorcas kannte! Sie war eine dieser typischen, klischeehaften New-England-Frauen eines gewissen Alters - eine jener Frauen, die den Sinn des Daseins in einem Leben ohne Firlefanz und Schnickschnack sahen. Sie stampfte stets in praktischem Schuhwerk ins Museum und versuchte schon seit Urzeiten, Minerva zu einer Frisur zu überreden, die ihrem Alter etwas angemessener war, etwa in der Art von Dorcas’ praktischem, pflegeleichtem Bob.
Wenn ich so recht darüber nachdachte, war die Freundschaft der beiden nur möglich, weil sie sich bereits in der Kindheit getroffen und angefreundet hatten. Zu jedem späteren Zeitpunkt hätten sie sich gegenseitig als ein merkwürdiges, inakzeptables Wesen wahrgenommen. Während Minerva den Sinn ihres Lebens nur mit einem Wimpernschlag komplett über den Haufen warf, legte Dorcas ganz besonderen Wert darauf, ihre Position als Lehrerin an einer Middle School, Besitzerin eines kleinen Hauses am Rande von Braintree und begeisterte Züchterin von Cairn Terriern zu unterstreichen. Es war offensichtlich, dass sie einander nicht ertragen konnten, und aus genau diesem Grund waren sie seit etwa vierzig Jahren beste Freundinnen.
»Und wie habt ihr euch wieder versöhnt?«, erkundigte ich mich. »Hat sie sich entschuldigt?«
»Dorcas? Sich entschuldigen? « Minerva lachte laut auf. »Hat sich Dorcas Goodwin entschuldigt? Da müsste sie erstmal wissen, was dieses Wort überhaupt bedeutet, und glaub mir, Gus - das weiß sie bis heute nicht.«
»Und wie …?«
Minerva spielte mit einem ihrer Tücher, dessen Farbton ich kaum beschreiben könnte.
»Eines Tages hat sie mich einfach angerufen
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