Meine beste Feindin
einem königsblauen Beerenkleid herumstolzieren. Alleine aber lag mir das Herumstolzieren nicht besonders.
Da war es auch egal, dass Harry Connick Jr. im Hintergrund trällerte oder dass auf dieser Party irgendwo all die Leute sein mussten, die ich vom College her kannte - vermutlich zusammengedrängt in der Küche. Genauso war es auch zu Highschool-Zeiten gewesen - irgendwo mussten die anderen ja sein, aber dennoch hatte ich mich wie auf dem Präsentierteller gefühlt, sobald ich nur zur Tür hereinkam.
Wie auf dem Präsentierteller, verletzlich, ungeliebt, ignoriert. All das redete ich mir nur ein, es existierte nur in meinem Kopf, das war mir schon klar. Aber das änderte nichts daran, dass ich es so empfand. Ich schob mich an den Wohnzimmerwänden entlang ins Haus, besorgte mir erstmal was zu trinken und versuchte, mit der Weihnachtsdekoration zu verschmelzen, bis die schrecklichen Teenagergefühle langsam nachließen.
Ich hatte große Pläne, die zitternde, meckernde Sechzehnjährige in meinem Inneren eines Tages chirurgisch entfernen zu lassen. Ich konnte sie einfach nicht loswerden, sie und tausend Dinge, die zu ihr gehörten - Bin ich zu dick? Bin ich hässlich? Wird mich jemals ein Mann lieben? Werde ich immer allein bleiben? Ist sie dicker als ich? Wie hässlich bin ich eigentlich? Machen die sich über mich lustig? Ich war davon überzeugt, dass ich ohne sie sofort eine lockere und entspannte Erwachsene sein würde, immer mit einem Lächeln auf den Lippen, völlig desinteressiert an Gewicht oder Figur.
Bis dahin würde noch viel Wasser den Nil runterfließen.
Andererseits hatte ich mich ja nicht gerade aufgedonnert, um jetzt den Kopf in den Sand zu stecken. Was Stilettoabsätze betraf, hatte ich eine eiserne Regel: Ich trug sie nur dann, wenn ich vorhatte, einen großen Auftritt hinzulegen. Stilettos waren zum Stolzieren und Schreiten da, niemals zum Herumschleichen.
Ich löste mich also von der Wand und warf den Kopf in den Nacken. Dann rief ich mir wieder in Erinnerung, dass ich eine Mission hatte. Ich bahnte mir den Weg durch die Menge, hielt die Augen offen und lächelte alle bekannten Gesichter an - Gesichter, die ich vielleicht als neue beste Freunde in Erwägung ziehen musste, wenn ich wirklich so allein war, wie ich mich fühlte. Ich brauchte etwa sechs Sekunden, um Nate und Helen in der Küche aufzuspüren. Dann ließ ich mich im Wohnzimmer in der Nähe der Theke nieder und wartete. Etwa zehn Minuten später erschien wie erwartet Nate, um Getränkenachschub zu holen.
Unsere Blicke trafen sich, und er lächelte.
»Gus«, sagte er, als würde er sich freuen, mich zu sehen. Vor lauter Erleichterung spürte ich, wie mein ganzer Körper kribbelte. Ich lächelte zurück.
»Ich bin froh, dass du hier bist«, erklärte ich. »Ich würde mich gern mal mit dir unterhalten.«
»Es ist alles ein bisschen aus dem Ruder gelaufen«, erwiderte er. Er schüttelte den Kopf. »Du weißt ja, wie sie sein kann.« Sein Blick forderte mich auf, in das verschwörerische Lachen auf Helens Kosten mit einzufallen. Ich weiß nicht recht, warum ich es nicht tat.
»An diesem einen Abend«, sagte ich stattdessen und kam gleich zur Sache, »Diese ganzen Nachrichten. Worüber wolltest du da mit mir reden?«
»Ich will auch jetzt noch darüber reden«, sagte er, unentwegt lächelnd. »Aber ich weiß nicht, ob das hier der richtige Ort dafür ist. Ich würde nur ungern gestört werden. Wirklich blöd, dass du an dem Abend nicht da warst.«
Mein Magen verkrampfte sich vor lauter schlechtem Gewissen. Ich war so nah dran gewesen. Er hatte unten vor der Tür gestanden, während ich mich Rachefantasien mit seinem Mitbewohner hingegeben hatte. Ich konnte einfach nicht glauben, dass es mit uns beiden gelaufen war. Es musste noch eine zweite Chance für uns geben. Das musste es einfach - sonst war doch alles völlig sinnlos. Sonst waren wir doch einfach so eine Geschichte, unter die er einen Schlussstrich setzen konnte, wann immer er wollte.
»Wie wär’s mit der Kurzfassung?«, schlug ich vor. »Dann weiß ich wenigstens, worauf ich mich einstellen muss.«
Nate wollte gerade beginnen, da erschien Henry neben ihm, das feixende Lächeln wie immer im Anschlag, und Nate machte den Mund wieder zu.
»Eine Bibliothekarin, die um eine Kurzfassung bittet?«, spottete Henry. »Ich bin höchst schockiert.«
Ich brauchte einen Moment, bis der Schock seines Anblicks ein bisschen nachließ. Wie immer war ich überrascht, wie blau
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