Meine beste Feindin
Nachmittag nur noch zum Flughafen bringen, und dann hatte ich frei.
Danach musste ich nur noch diesen Abend und die letzte Adventsparty überstehen. Ich überlegte, gar nicht erst hinzugehen. Wenn Georgia nicht da war, hatte es irgendwie wenig Sinn. Ich wusste nicht, ob Amy Lee kommen würde oder nicht - ich war mir auch nicht sicher, was schlimmer war. Falls sie nicht kam, würde ich ganz ohne Freundin dastehen, was zu einer echten Herausforderung werden konnte, falls Nate oder Helen auftauchten. Fall sie kam, na ja, dann wäre es eine ganz andere Art der Herausforderung.
Ich versuchte nicht einmal, mir etwas vorzumachen - ich wollte da hin. Ich wollte wissen, was zwischen Nate und Helen lief. Ich wollte Nate sehen. Ich wollte ihm in die Augen sehen und die Sache ein für alle Mal klären. Es wäre mir lieber gewesen, nicht alleine zu gehen, aber ich konnte es nun mal nicht ändern. Ich hatte keine Rückendeckung - aber ich hatte tonnenweise Make-up.
Ich warf mich groß in Schale - sprich in meine heißgeliebte Edeljeans und ein Glitzertop, das ich nur zu besonderen Anlässen trug - und verwandte viel Zeit darauf, meine Augen geheimnisvoll und einladend aussehen zu lassen. Ich versuchte, nicht daran zu denken, dass es Helen gewesen war, die mir diese Dinge beigebracht hatte. Was irgendwie ironisch sein würde, falls mir ihre Kunstgriffe helfen sollten, Nate zurückzuerobern. Als ich dann fertig war und bereits meine Stiefel mit dem völlig kranken Stiletto-Absatz trug - Stiefel, die förmlich danach schrien, mich auf den zugefrorenen Bostoner Bürgersteigen von den Füßen zu fegen, jene Stiefel, auf die ich gespart hatte und die ich mehr liebte als meine ganze restliche Garderobe -, da ließ ich mich auf der Couch nieder und versank ein paar Minuten in Schwermut.
Seltsamerweise war es der Gedanke an Helen, der mich wieder auf die Beine brachte.
Frauen wie Helen wurden zu Superfrauen, weil man ihnen durchgehen ließ, was man bei anderen Frauen nicht tolerierte. Und sie kamen damit durch, weil sie einfach machten, was sie wollten. Ich selbst würde zum Beispiel nie auf die Idee kommen, die Mailbox meines Freundes abzuhören oder mir meine Rivalin vorzuknöpfen. Nicht etwa, weil ich über solchen Dingen stehen würde, sondern vielmehr, weil ich befürchtete, dass der entsprechende Freund die Rivalin vielleicht bevorzugen könnte. Helen würde niemals zulassen, dass ein solcher Zweifel in ihr auch nur aufkeimte. Helen würde stets durchs Leben stolzieren, als würde jeder, dem sie begegnete, ihr zu Füßen liegen. Ich hatte jahrelang dabei zugesehen, wie sie genau das tat.
Ich setzte mich ein wenig aufrechter hin.
Zwischen Frauen wie Helen und Frauen wie mir verlief eine klare Trennlinie. Frauen wie ich gingen zum Beispiel nicht gerne allein aus. Ich marschierte am liebsten in Begleitung meiner Freundinnen durchs Leben, wir waren nur im Dreierpack zu haben, denn zusammen hatten wir Spaß, egal, wohin wir gingen (zumindest bis vor kurzem), und zu dritt war es einfach viel angenehmer. Helen hingegen verstand nichts von solchen Freundschaften. Sie ging, wohin sie wollte. Ihre unerschütterliche Selbstsicherheit (oder Arroganz, meiner keinesfalls bescheidenen Meinung nach) und das Wissen, dass ihre Beine in diesen Schuhen einfach fantastisch aussahen, waren ihr Antrieb genug. Mir war egal, was die Leute über mich dachten, solange nur das Urteil meiner engsten Vertrauten positiv ausfiel und sie an meiner Seite waren. Helen war es vollkommen egal, was die Leute über sie dachten.
Helen würde sich über all das keinen Kopf machen, dachte ich. Sie würde einfach ihr Haar schütteln und losziehen.
Allerdings, rief ich mir ins Gedächtnis, hatte Helen in genau diesem Apartment gesessen und so getan, als sei sie nicht im Geringsten wegen ihres Freundes und einer anderen Frau beunruhigt. Offensichtlich versetzte sie das, was zwischen Nate und mir passiert war, in große Sorge. Es schien ihr sogar wichtig zu sein, was ich über sie dachte. Natürlich nicht wichtig genug, um ihr Verhalten in irgendeiner Weise zu beeinflussen, aber sie hatte immerhin versucht, mit mir darüber zu reden. Selbstverständlich auf ihre eigene, unnachahmliche Weise, aber sie hatte es versucht. Ich konnte wetten, sie selbst war davon überzeugt, dass sie mir die Hand zur Versöhnung gereicht hatte.
Vielleicht, überlegte ich, war Helen also gar nicht die furchtlose, selbstsichere Göttin, die ich bewundert hatte, seit ich achtzehn war. Sie
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