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Meine Brüder, die Liebe und ich - Higgins, K: Meine Brüder, die Liebe und ich

Meine Brüder, die Liebe und ich - Higgins, K: Meine Brüder, die Liebe und ich

Titel: Meine Brüder, die Liebe und ich - Higgins, K: Meine Brüder, die Liebe und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristan Higgins
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Doktor einen Martini reichen würde.
    „Oh, da war ein Jogger, der von einem Berglöwen angegriffen wurde“, antwortet mein gut aussehender Ehemann dann, schlingt seinen Arm um meine schlanke Taille, küsstmeinen Hals und nimmt dankbar den Martini entgegen. „Viele Abschürfungen. Zerfetzte Haut. Bisswunden. Halb abgerissene Gliedmaßen. Schwere Organverletzungen. Hat Spaß gemacht.“
    Und ich werde nicht umkippen oder mich übergeben, sondern stattdessen mitfühlend nicken und intelligente Fragen stellen, wie etwa … etwa … okay, ich fühle mich gerade nicht so gut, aber das ist nur ein weiterer Grund, diesen Kurs durchzuziehen.
    Ich schlage das bebilderte Stichwortverzeichnis auf, das sehr hilfreich ist, wenn man direkt zu den grässlichsten Fotos gelangen möchte. „Da ist es“, sage ich zu Buttercup, die mit geschlossenen Augen neben mir liegt. Kluger Hund. Nach meinem Wochenende mit Bubbles weiß ich ihre Qualitäten noch mehr zu schätzen.
    Ich fahre mit dem Finger die erste Spalte hinunter und bleibe an dem Begriff Abschürfung (Haut), Ablederung hängen. Siehe Seite …
    Ich schlage das Buch so heftig zu, dass Buttercup durch meine Bewegung vom Bett rutscht. „Aaahhruuhruuh!“, jault sie verärgert auf. Ich würde am liebsten mitjaulen. Mist! Mein Magen krampft, ich spüre Magensaft aufsteigen. Auf dem Foto war ein Brustkorb abgebildet, der aussah, als wäre man einige Male mit einem riesigen Käsehobel darübergegangen – abgerissene Hautfetzen, rote Wundränder, dazwischen schwarzer Kies … Halt, ich muss das nicht weiter beschreiben! Ich habe es gesehen. Weiter geht’s.
    Ich muss andauernd Speichel hinunterschlucken, aber ich bin nicht umgekippt. Nicht einmal annähernd. Mir ist nur leicht übel, und meine Hände sind feucht, das ist alles. Ein Fortschritt. „Buttercup!“ Meine Stimme klingt schwach. „Mommy braucht dich!“ Sie beäugt mich skeptisch, klettert dann aber zurück aufs Bett. Ich hole tief Luft, straffe die Schultern und öffne das Verzeichnis erneut.
    Ruptur – durch Riss, Bruch, Zerplatzen der … Autsch! Du lieber Himmel! Und wieder klappe ich das Buch zu. Buttercup blinzelt verstört und grunzt. „Na, schaffen wir noch mehr, Buttercup? Hm, mein Butterbaby? Ja, das geht, oder?“
    Wem willst du was vormachen? scheint sie zu fragen. Ich habe da auch meine Zweifel, aber ich schlage das Buch wieder auf.
    Gliedmaßenamputation … Klapp! Ich schiebe das Buch weit von mir. „Also gut, Buttercup. Wir sind fertig. Der Unterricht ist vorbei.“ Ich schmiege mich an sie, schlinge den Arm um ihren Bauch und kraule ihren Brustkorb. „Guter Hund, braver Hund“, lobe ich, doch es hilft nicht viel. Das Bild eines frisch vernähten Beinstumpfes hat sich fest in mein Hirn gebrannt. Ich schließe die Augen und atme durch den Mund. Baby, we were born to run …
    „Hallo, Chas.“ Matt steht in der Tür. Offenbar kommt er gerade von der Arbeit zurück. „Was machst du da?“
    „Oh, ich … lese nur ein bisschen“, antworte ich. „Wie geht es dir? Ich habe dich in der letzten Woche kaum gesehen.“
    Matt seufzt, kommt ins Zimmer und setzt sich neben dem Bett auf den Boden. Buttercup stemmt sich schwerfällig auf die Pfoten und klettert zu ihm hinunter.
    „Ich bin für Paul eingesprungen“, erklärt er. „Ich habe so viele Schichten übernommen, wie es nur ging.“ Er krault Buttercup am Kopf, woraufhin sie genüsslich aufstöhnt.
    „Sparst du auf irgendetwas?“, will ich wissen.
    „Ich hatte gedacht, dass ich vielleicht wieder aufs College gehe“, murmelt er, ohne mich anzusehen.
    „Wow! College. Das ist toll, Matt. Was willst du denn jetzt studieren? Rettungsingenieur oder so etwas?“
    „Nein“, sagt er und sieht mich immer noch nicht an. „Ich dachte eher an … englische Literatur.“
    Ich bin so überrascht, dass mir im ersten Moment nichtsdazu einfällt, und ich schweige wohl etwas zu lange, denn Matt schiebt Buttercup abrupt beiseite und sieht mich böse an. „Na und? Was ist schon dabei? Darf ich etwa nichts anderes sein als Feuerwehrmann? Nur weil alle aus unserer Familie ständig irgendwelche Leben retten, heißt das doch nicht, dass jeder das tun muss, oder?“
    „Na ja … äh … nein, Matt. Ich zum Beispiel tue das auch nicht.“
    „Ja, na gut. Aber du bist ein Mädchen.“
    „Oh, stimmt. Das hätte ich fast vergessen.“
    Er ignoriert meinen Sarkasmus. Im Moment wirkt er gar nicht mehr wie mein sanfter Bruder Matthew, sondern eher wie der zornige Mark.

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