Meine Brüder, die Liebe und ich - Higgins, K: Meine Brüder, die Liebe und ich
liebst!“ Ich klinge wie eine Zehnjährige, aber ich kann nicht anders. Buttercup kommt zu mir und legt ihren Kopf auf meinen Schoß.
„Liebe nutzt sich ab, Chastity“, sagt meine Mutter ruhig und streicht mir über das Haar. „Wenn sie nicht erwidert wird, nutzt sie sich ab.“
„Aber er liebt dich, Mom!“ Eine Träne fällt Buttercup auf die Nase, und sie leckt sie fort. „Natürlich liebt Daddy dich!“
„Nicht so.“ Sie lehnt sich zurück und spielt mit ihrem Armband. „Chastity, man kann nicht sein ganzes Leben lang jemanden mehr lieben, als man selbst geliebt wird. Du weißt das selbst, oder? Man fühlt sich dann klein, egal, wie groß man ist.“ Sie lächelt traurig.
„Was … wovon sprichst du?“
„Trevor.“
„Ich … ich … ich bin nicht …“
„Doch, mein Schatz, du liebst ihn. Schon seit du ein Kind warst.“
Jetzt muss ich richtig weinen. „Also gut, ja. Aber lass uns von dir und Daddy sprechen“, flüstere ich.
„Einverstanden. Ich halte es für richtig, sich jemand anderen zu suchen – jemanden, für den ein Raum erstrahlt, wenn du ihn betrittst.“ Sie hält kurz inne. „Nicht jemanden, der dich gar nicht richtig wahrnimmt.“
Ich weiß nicht, ob sie mich oder sich oder Trevor oder Ryan oder Dad meint. Ich wische mir über die Augen und versuche zu schlucken.
„Ich bin es leid, darum zu kämpfen, dass dein Vater mich wahrnimmt“, sagt sie und sieht plötzlich so müde und verhärmt aus, dass ich die Zähne zusammenbeißen muss, um nicht zu schluchzen. „Zu viele Jahre hat er mich nur dann beachtet, wenn es ihm gerade in den Kram passte. Ich war immer da, habe fünf Kinder versorgt, den Haushalt geschmissen, gekocht, euch gepflegt, wenn ihr krank wart und alles, und ich habe ihn immer noch so geliebt wie am ersten Tag. Er hat sich in dieser Zeit um das gekümmert, wonach ihm gerade war. Um die Arbeit, seine Kollegen, euch Kinder, wenn er mal Zeit hatte. Irgendwann kam es mir so vor, als wäre ihm alles andere wichtiger als ich.“
Buttercup legt ihren Kopf jetzt in Moms Schoß, und Mom streichelt ihre großen Ohren.
„Liebst du Harry denn wirklich?“, frage ich, trotz der Rasierklinge in meinem Hals.
„Ja“, antwortet sie ruhig, und es bricht mir das Herz. „Es ist schön, sich neu und interessant und … na ja … angehimmelt zu fühlen.“
Ich nicke, obwohl ich mich elend fühle.
„Ich wollte dich bitten, meine erste Brautjungfer zu sein“, sagt sie. „Du musst dich natürlich nicht sofort entscheiden.“
Ich will nicht vor den Augen meiner Mutter zusammenbrechen, also stehe ich auf. „Ich muss gehen“, krächze ich.
„Also gut“, sagt sie, steht ebenfalls auf und nimmt mich in den Arm. „Ich hab dich lieb, meine Süße.“
„Ich hab dich auch lieb, Mom. Ich will nur eben noch mal schnell in mein Zimmer.“ Mit Buttercup auf den Fersen flüchte ich in den Flur.
Da ich das letzte Kind war, das zum College ging, wurde mein Zimmer nicht wie die der Jungs in Näh- oder Gästezimmer umfunktioniert. Ich setze mich auf mein altes Bett und sehe mich um. Meine Basketballpokale stehen immer noch oben auf dem Bücherregal. Die Goo Goo Dolls starren mich von einem Poster an. Mein lila Wuschelteppich, den ich damals so schön mädchenhaft fand, trägt heute fast einen Rasta-Look. Ansonsten hat sich nicht viel verändert.
Tränen laufen mir über die Wangen. Ich versuche, tief durchzuatmen und mich zu fangen. Es gelingt mir nicht.
Ich habe an die ewige Liebe geglaubt. Ich dachte, dass meine Eltern sich trotz aller Unterschiede, trotz Ungeduld und Unzufriedenheit immer lieben würden. Immer zusammenbleiben würden, auch wenn sie nicht mehr zusammen wohnen. Ich habe nicht gewusst, dass jemand die Liebe deines Lebens sein und dann plötzlich aus deinem Herzen verschwindenkann. Ich habe nicht gewusst, dass ein Herz sich wie ein abgenutzter und schmutziger Radiergummi anfühlen kann. Die Vorstellung ist mir unerträglich.
Plötzlich schlägt die Hintertür zu. „Betty?“ In der Stimme meines Vaters schwingt Panik. Ich habe sein Auto nicht gehört.
„Betty! Jack hat mich gerade angerufen. Betty!“ Mein Vater, der furchtlos in brennende Gebäude marschiert, klingt wie ein verängstigtes Kind. „Das kann nicht dein Ernst sein, Liebling. Das kannst du nicht tun!“
Ihre Stimmen dringen entsetzlich klar zu mir durch, und obwohl ich sie nicht hören will, kann ich mich nicht rühren. Buttercup legt ihren Kopf auf den lila Teppich und beobachtet
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