Meine Brüder, die Liebe und ich - Higgins, K: Meine Brüder, die Liebe und ich
mich.
„Mike, es tut mir leid, aber es ist mir ernst. Ich werde Harry heiraten.“ Meine Mutter klingt traurig, resigniert und aufrichtig.
„Oh, Betty.“ Ich habe meinen Vater noch nie weinen hören. Ich habe Tränen in seinen Augen gesehen, ja, und er war schon stumm vor Schmerz oder angespannt vor Angst, aber seine gequälten Schluchzer sind schrecklich anzuhören.
„Ich gehe in den Ruhestand. Gleich morgen! Ich rufe sofort den Chef an und …“
„Darum geht es jetzt nicht mehr, Mike. Es ist zu spät. Es tut mir wirklich leid.“
„Das kannst du nicht machen! Du liebst mich doch. Bitte! Ich liebe dich, Betty. Ich habe dich immer geliebt.“
Moms Stimme ist freundlich und ruhig und sanft – es ist nicht ihre Pastorenstimme, sondern die Stimme der liebenden Mutter, mit der sie uns bei Fieber oder Bauchweh tröstete oder wenn wir weinten, weil wir in der Schule nicht bei jedem beliebt waren oder weil wir nicht größer als die anderen sein wollten. „Du hattest lange Jahre Zeit, in den Ruhestand zu gehen. Wenn du es jetzt tust, dann nur, weil du nichtwillst, dass ich mit einem anderen zusammen bin. Du tust es nicht wirklich für mich.“
„Bitte, Betty.“
„Nein. Es tut mir leid, Mike. Ein Teil von mir wird dich immer lieben, und wir werden immer unsere Kinder und Enkelkinder zusammen haben, aber es ist vorbei.“
Es bricht mir das Herz, meinen Vater weinen zu hören.
Mom sagt noch etwas, aber ich nehme es nicht mehr wahr. Nach einigen Minuten fällt die Hintertür zu, und ich höre einen Motor aufheulen. Dann höre ich Moms Schritte im Flur. Sie öffnet meine Zimmertür, lehnt sich gegen den Türrahmen und sieht mich an.
„Kommt Daddy zurecht?“, flüstere ich.
„Ich habe Mark angerufen. Er und Luke gehen gleich zu ihm.“ Sie blickt zu Boden. „Ich denke, du solltest jetzt auch gehen, mein Schatz. Ich möchte allein sein.“
Wie in Trance fahre ich nach Hause und füttere Buttercup. Ich habe das Gefühl, von den Wänden erdrückt zu werden. Ich mag nicht über meine Eltern nachdenken – es ist zu traurig. Ich muss hier raus.
Wo ich hinwill und wo ich hinsollte, sind zwei verschiedene Orte. Ich ziehe meine Schuhe an und renne die Straße hinunter, zu dem Ort, zu dem ich sollte.
Es ist mittlerweile dunkel, und die Geräusche der Sommernacht umgeben mich – Radiomusik, klappende Türen, schreiende Kinder, ein Baseballspiel im Reilly Park. Die Außenterrassen der Restaurants sind voll besetzt; überall glitzern Lichterketten, Menschen lachen und trinken und essen und amüsieren sich prächtig. Ich laufe weiter, und meine flachen Sohlen klatschen auf den Gehsteig.
Das Krankenhaus ist hell erleuchtet und wirkt einladend. Hallo! Schön, dass Sie da sind! Amüsieren Sie sich! scheint das Foyer zu sagen. Es ist mit hellen Wandmalereien und üppigen Gummibäumen geschmückt. Danke, kein Bedarf, denke ich wütend.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragt die Empfangsdame mit strahlendem Lächeln.
„Wo ist die chirurgische Abteilung?“, knurre ich.
„Sechste Etage“, antwortet sie. „Möchten Sie einen Patienten besuchen?“
„Nein. Ich muss Dr. Darling sprechen.“
„Ich kann ihn anpiepsen“, bietet sie an, aber ich laufe bereits zu den Fahrstühlen.
Mit schnellen, festen Schritten steuere ich im sechsten Stockwerk das Schwesternzimmer an. „Ist Ryan Darling in der Nähe?“, will ich wissen.
Eine Schwester sieht mich herablassend an. „Dr. Darling ist bei einem Patienten.“
„Operiert er gerade?“
„Er ist bei einem Patienten“, wiederholt sie laut, als wäre ich schwerhörig. Sie mustert mich von oben bis unten. „Warum rufen Sie nicht sein Sekretariat an und verabreden einen Termin?“
„Warum kümmern Sie sich nicht um Ihren eigenen Kram? Er ist mein Freund.“ „Freund“ klingt eigentlich viel zu harmlos und jugendlich, aber „Lebenspartner“ trifft es auch nicht.
„Trotzdem ist es immer noch so, dass – er – bei – einem –Patienten – ist.“
„Na, schön! Kann ich irgendwo warten?“
Die Schwester, die so freundlich und mitfühlend ist wie … na, sagen wir Oberschwester Ratched aus Einer flog über das Kuckucksnest , seufzt dramatisch auf. „Es gibt ein Wartezimmer für Familienangehörige am Ende des Ganges. Benehmen Sie sich ihnen gegenüber bitte rücksichtsvoll.“
Auf dem Weg in den Warteraum traue ich mich nicht, in die Zimmer rechts und links zu sehen. Es geht mir auch ohne traurige Familien und kranke Patienten schlecht genug.
Das
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