Meine Brüder, die Liebe und ich - Higgins, K: Meine Brüder, die Liebe und ich
Trevor hatte? Diese mädchenhaften Mädchen in ihren Caprihosen und Stoffschühchen, mit ihrem Haarewerfen und ihren flirtenden Blicken erschienen mir exotisch und unergründlich. Auf der einen Seite wollte ich so sein wie sie, auf der anderen wusste ich, dass ich – mit meinen eins einundachtzig Komma fünf, einundsiebzig Kilo und den legendären O’Neill-Schultern – unmöglich zu dieser Kaschmir-Twinset-Clique gehören konnte.
Ich war einsam.
Bis zum Probetraining im Rudern. Dank Luckys damaliger Einweisung war ich gleich im ersten Durchgang die Beste. Der Trainer steckte mich in den einzigen Doppelvierer, was bedeutete, dass ich auf einen Schlag drei beste Freundinnen hatte, die allesamt im dritten oder vierten Jahr waren und die meine O’Neill-Schultern bewunderten. Auf einmal hatte ich aufgrund meiner eigenen Fähigkeiten einen Platz errungen. Ich wurde unabhängig von dem beurteilt, was meine Brüder getan oder nicht getan hatten. Es fühlte sich toll an. Endlich hatte ich allein für mich einen Platz gefunden.
Ich war zum Rudern geboren. In unserer Riege gab eskeine zarten Mädels mit seidigem Haar, oh nein! Jeden einzelnen Tag waren wir stolz darauf, unermüdlich, stark, ehrgeizig und unerbittlich zu sein. Schmerzende Muskeln und schweißgetränkte T-Shirts waren unser Markenzeichen. Wir aßen zusammen, studierten zusammen und verbrachten unsere Freizeit zusammen.
Bei der Charles-Regatta im Oktober gewann unser Team mit vier ganzen Längen Vorsprung, was für alle großen Gegner eine tragische Niederlage bedeutete: Harvard und Yale und Penn. Sogar Oxford! Wir waren euphorisch. Jede Einzelne hatte perfekt gerudert, absolut synchron, jede Faser des Körpers auf den perfekten Bewegungsablauf ausgerichtet – ein vorbildliches Zeugnis von Einheit, Kraft und Konzentration. Was für ein Sieg! Noch nie hatte Binghampton in diesem prestigeträchtigen Wettkampf ein solches Ergebnis erzielt, und bei unserer Rückkehr waren wir lokale Berühmtheiten und Heldinnen des Campus.
Um das Ereignis gebührend zu würdigen, wurde das Ruderteam von der Rektorin der Universität zum Abendessen eingeladen. Es war ein feierlicher Abend – ich trug sogar einen Rock und Lidschatten, nachdem meine Kameradinnen mir versichert hatten, ich sähe nicht wie ein verkleideter Mann aus. Abendessen bei der Rektorin! Wir waren schrecklich nervös, vor allem ich. Ich war die einzige Jungstudentin im Gewinnerteam, die einzige Studentin im ersten Jahr, und ja, man sprach viel von mir. Als mir Becca vor dem Essen einen Wodka-Tonic anbot, nahm ich ihn gerne an, um meine Nervosität zu dämpfen. Dann bat ich um einen zweiten. Da ich den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte, war ich danach … nun, sagen wir mal: sehr entspannt.
Und dann passierte es. Alkohol, so merkte ich zum ersten Mal, senkt die Hemmschwelle und löst die Zunge, aber es ging mir gut, und ich fand mich sogar recht charmant. Als die Rektorin mich dann fragte – mich! –, wie es sich anfühle,den ersten Platz belegt und damit einige der besten Teams der Welt besiegt zu haben, konterte ich mit einer meiner Meinung nach charmanten, lustigen Antwort.
„Tja, Frau Rektorin, diese Zuckerärsche von Nobelstudenten hätten schon bei der Geburt von ihren Eltern ertränkt werden sollen – die haben ja wie Drittklässler mit Spaghettiarmen gerudert! Ich meine, haben Sie diese feinpinkligen, schlaffen Magersüchtlinge von Harvard gesehen?!“
Ich wartete auf die Lachsalven meiner Teamkolleginnen, aber nichts kam. Im Gegenteil: Sie waren vor Schreck wie erstarrt!
In meiner alkoholischen Umnebelung hatte ich vollkommen vergessen, dass unsere Rektorin nicht nur in Harvard studiert hatte, sondern dort auch gerudert war. Zudem war ihre Tochter dort eingeschrieben und ruderte ebenfalls. Sie war sogar Teil des Teams, das wir so überwältigend geschlagen hatten.
Den Rest des Abends starrte mich die Rektorin hasserfüllt an, sodass ich krampfhaft versuchte, mich nicht zu rühren und mit der Masse zu verschmelzen, was sich als schwierig erwies, da niemand näher als einen Meter an mich heranrücken wollte. Unsere Siegesfeier war ruiniert, unserer Rektorin stinksauer, unser Trainer entsetzt und meine Teamkolleginnen peinlich berührt. Am liebsten wäre ich zum Fluss gelaufen und hätte mich ertränkt.
Als der Abend gefühlte vier Jahre später schließlich zu Ende war, schlich ich über den Campus in mein Zimmer. Es war Donnerstagabend und am folgenden Tag wegen des verlängerten
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