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Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Titel: Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vlada Urosevic
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gestreiften Hosen, der sich als Mitglied eines Zirkus auf der Durchreise vorstellte. »Was haben Sie denn da für ein seltsames Tier?«, fragte er ziemlich aufdringlich. Er wollte es sehen und bot sogar eine Gegenleistung dafür an. Geld oder Naturalien. »Mehl, Zucker …«, raunte er. Vor der Tür stand ein Kastenwagen aus Holz, vor den ein ausgemergeltes Pferd gespannt war. Opa Simon sagte, es handele sich um ein Krokodil, das uns aber entwischt sei. Der Mann vom Zirkus war nicht überzeugt, er lungerte noch ein Weilchenvor der Tür herum und ging dann, um sich bei den Nachbarn umzuhören.
    Für alle Fälle ließen wir das Einhorn nicht mehr aus dem Schuppen. Es blieb nun die ganze Zeit eingesperrt. Hin und wieder stieß es mit dem Horn gegen die Holztür; an dieser Stelle war sogar ein kleines Loch entstanden.
    Einige Tage nach dem Besuch des Zirkusmenschen zerschlugen die Nachbarskinder, von irgendjemandem angestiftet, mit Steinen die Dachziegel des Schuppens. Jetzt regnete es genau auf das Einhorn: Von seinem Fell floss das Regenwasser, die Haare klebten zusammen und es blieben fauliges Laub und Spatzenkot daran hängen. Onkel Jakov kletterte auf das Dach und besserte die Ziegel mehr schlecht als recht aus. Als er wieder hinunterstieg, glitt er ab, stürzte unglücklich und verrenkte sich ein Bein; grässlich fluchend humpelte er über den Hof.
    Eines Nachts zeichnete jemand ziemlich ungelenk ein Ungeheuer an unsere Haustür, es hatte drei Beine und zwei Köpfe. Meine Cousine Emilia und ich versuchten, es abzuwischen, doch es war Ölfarbe und es gelang uns lediglich, die ganze Tür zu zerkratzen und zu verschmieren. Einige Nachbarn gingen uns nun ganz offen aus dem Weg.
    Der Winter kam. Wenn es dämmerte, wehte ein beunruhigender und bedrohlicher Geruch nach Schnee und wilden Tieren von den Bergen herüber. Eines Abends sahen wir dann die ersten Schneeflocken feierlich auf die Steinplatten im Hinterhof fallen. Weil im Schuppen kein Platz mehr war, lagerte das Brennholz unzureichend geschützt unter dem Vordach. Es war schon feucht geworden und der Schnee durchnässte es nun gänzlich; es fing nur schwer Feuer, zischte und qualmte.Wir saßen alle in der Küche, eingehüllt in Rauch, schweigsam und jeder mit seinen Angelegenheiten beschäftigt.
    Die Schuppentür öffneten wir immer seltener. Das Einhorn lag zusammengekauert in einer Ecke, sein Fell war verschmutzt, es ließ den Kopf hängen. Alles an ihm war grau geworden, bedauernswert, zerknittert; sein Horn war von der Nässe zerfressen, es hatte sich dunkel gefärbt wie das Horn eines gewöhnlichen Haustiers, eines Widders oder eines Ochsen.
    Die kurzen, kargen Wintertage vergingen damit, dass wir für die Schule lernten, vor den Lebensmittelläden Schlange standen und uns am Küchenherd aufwärmten. Mit der Zeit geriet das Einhorn immer mehr in Vergessenheit. Oma Spomenka brachte ihm Futter, aber auch das war dürftig, aus Abfall und Resten zusammengeklaubt, fast schon armselig. Wenn wir – selten genug – in den Schuppen gingen, sahen wir dort den geschrumpft wirkenden, schmutzigen Leib des Einhorns und seinen abgemagerten Kopf, in dem nur die Augen in einem geheimen Fieber brannten, und liefen schnell in die Küche zurück.
    So verging der Winter. In jenen Tagen, als im Hinterhof die letzten kümmerlichen Inseln des verkrusteten, schwärzlichen Schnees schmolzen, fand Oma Spomenka das Einhorn tot auf. Wir betrachteten aus sicherem Abstand seinen ausgemergelten Körper, aus dem steif die hässlich verkrampften Beine ragten, und wandten uns ab, als hätten wir etwas Beschämendes und Verbotenes gesehen.
    Onkel Jakov, der immer noch ein wenig humpelte, und Opa Simon brachten den Kadaver in der Nacht fort und verscharrten ihn heimlich irgendwo in den Gemüsegärten amStadtrand. Als sie zurückkamen, hörten wir, wie sie draußen vor dem Tor die Spaten säuberten. Am folgenden Abend erwähnte niemand das Einhorn.
    Einige Tage später schleppte Opa Simon erneut seine großen Bücher aus dem Mansardenzimmer in die Küche. Da waren die große und schwere ›Monstrorum historia‹ von Ulisse Aldrovandi, das vergilbte und zerfledderte ›Theatrum universale omnium animalium‹ von Johannes Johnston, die in einst violetten und jetzt ganz verblichenen Samt gebundene ›China illustrata‹ des Athanasius Kircher. In den Illustrationen dieser Bücher existierte eine höchst aufregende und fantastische Welt voller Greife, Zentauren, Salamander, Basilisken, Sphingen und

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