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Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Titel: Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vlada Urosevic
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Kriegsinvaliden, Hausierer. An den kleinen Bahnhöfen entlang der Strecke fielen Zigeuner-Blaskapellen, Gruppen von betrunkenen Feuerwehrleuten und versprengte Jäger in den Zug ein. Lichter und Schatten schwankten, die kalte Luft vertrieb rücksichtslos den Schlaf, der Zug fuhr langsam an, pfiff.
    In den Ecken des großen Waggons dritter Klasse wurden zweifelhafte Kartenspiele gespielt. Bleich und verschwitzt murmelten die Spieler undeutlich vor sich hin und zogen zerknitterte Bündel Papiergeld aus ihren schmutzigen Taschen. Die gelben Lichter der kleinen Bahnhöfe, von denen sie jäh angeleuchtet wurden, um gleich darauf wieder im Halbdunkel zu versinken, verliehen diesem Bild etwas von einem Fiebertraum. Von Zeit zu Zeit stand ein Spieler auf. Wenn sie auf ihrem Weg in andere Waggons an uns vorbeikamen, zwinkerten sie meiner Cousine Emilia zu.
    Der Winter wurde immer rauer und kälter. Mühsam kämpften sich die Züge durch Schneewehen, eingehüllt in Dampfwolkenquietschten sie fürchterlich in den Kurven. Die Handleserinnen gingen von Waggon zu Waggon, ihnen folgten die Zigeuner mit weißen Mäusen in kleinen Schachteln, Bettler erzählten von ihren ausgebrannten Häusern und getöteten Verwandten. Im Zug war es warm wie in einem Badehaus, doch die Fenster waren zugefroren. Die Eisbäume an den Scheiben wurden eins mit den schneebedeckten Zweigen der echten Bäume. Draußen, in der Nacht, zog ein ungeheuerlicher Winter vorüber, mit gewaltigen Schneehaufen, mit Kirchtürmen, die ihrer Glocken beraubt waren, mit im Flug erfrorenen Krähen.
    Durch den Zug schlichen von der Front geflüchtete Deserteure, verkleidete Volksfeinde, Berufsagitatoren. So mancher versuchte, sich meiner Cousine Emilia zu nähern: stämmige Burschen mit Schiebermützen und übergeworfenen Militärmänteln, Falschspieler und tölpelhafte Sportler, die zu Bezirksmeisterschaften fuhren. Sie zogen kleine Äpfel aus ihren Taschen und boten sie meiner Cousine Emilia an. Die zog sich jedoch in ihre Ecke zurück, schüttelte abweisend den Kopf oder tat so, als ob sie schliefe. Der Zug kreischte in den Kurven, tauchte in die Tunnel ein und schreckte die Wölfe auf, die sich dort versteckt hatten, beleuchtete die vereisten Felder mit einem Feuerwerk aus Funken.
    Zwischen den Unterrichtsstunden am Gymnasium und der Abfahrtszeit streiften wir durch die Stadt.
    An einem dieser grauen, faden Nachmittage des nicht enden wollenden Winters, der erfüllt war von Krähen und dem Rauch der Züge, blieben meine Cousine Emilia und ich auf dem Weg zum Bahnhof vor der Auslage einer Konditorei stehen. Damals vollbrachten die Konditoren kleine Wunder: Esgab keinen Zucker und die Kuchen wurden mit Saccharin gebacken. Statt Walnüssen fügte man gemahlene Carobfrüchte hinzu, die wegen ihrer Form auch Bockshörndl genannt wurden, und als Eiweißersatz wurde eine uns bisher unbekannte Wurzel zerstoßen, die dichten, weißen Schaum ergab, der nach Apotheke roch. Die Kuchen waren kleine, alberne Teilchen in den verrücktesten Farben: rosa, grün, dunkelviolett. Doch wir waren nicht ihretwegen stehen geblieben: In der Auslage stand eine große Servierplatte mit einem Bild, auf dem in einer Technik, die weder Fotografie noch Grafik war, ein Zug dargestellt war, der qualmend in einem Bahnhof wartete. Wir erkannten darin sofort den hiesigen Bahnhof, er war nur ein wenig abgewandelt. Der Zug sah lustig aus, er war klein und die Lokomotive erinnerte an eine Teekanne. Es war einer der fantastischen Züge vom Beginn des Jahrhunderts, die nur in den Illustrationen von Physiklehrbüchern und in alten Filmen überdauert hatten. Das Ganze war wirklich eine kleine Besonderheit, was sich auch in der Art und Weise zeigte, wie das Bild präsentiert wurde: Die Servierplatte stand in der Mitte der Auslage, und strahlenförmig um sie herum breiteten sich in Zweierreihen die bunten Kuchen aus, deren Sternendekor an Epauletten erinnerte, und erstreckten sich wie kopflose Reptilien die blassen, zitternden Körper des Lokums.
    Als wir die Blicke von der Auslage hoben, entdeckten wir hinter der Scheibe das Gesicht des Konditors. Er winkte uns herein und wir folgten der Einladung, wobei wir verlegen etwas von der Abfahrt des Zuges und von Zeitmangel murmelten. Mit ausladenden Gesten erzählte uns der Konditor die Geschichte des Bildes, ganz so, als spräche er vor einem großen Publikum. Er flocht nebensächliche Geschehnisse ausseinem Leben mit ein und überhäufte uns mit Informationen über

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