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Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Titel: Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vlada Urosevic
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Schutz sucht.«
    »Du Idiot«, sagte Emilia, die Augen noch immer geschlossen. »Und wie ist sie wohl reingekommen?«
    »Vielleicht kennt sie den Trick mit der Spange.«
    »Du bist wirklich ein Idiot«, sagte meine Cousine Emilia. »Das Schloss kann man von innen nicht aufmachen. Wie soll sie denn rauskommen?«
    ***
    In dieser Nacht träumte ich vom Hamam.
    Meine Cousine Emilia und ich hatten uns im Labyrinth der immer kleiner werdenden Räume verirrt. Hand in Hand rannten wir durch das verstaubte Dickicht aus Gerümpel, und auf einmal gerieten wir völlig unerwartet in Räumlichkeiten, die noch immer als Bad dienten. Durch den Dampf waren das Platschen nackter Füße und aufreizendes Frauenlachen zu hören. Die Marmorfliesen waren glitschig, in kleinen Pfützen trieben Reste von Seife. In dem Becken in der Mitte eines großen Raumes schwamm die Alte auf uns zu wie eine über und über mit Warzen bedeckte Kröte. Wir liefen davon, doch wir konnten den Ausgang nicht finden, und uns war klar, dass es uns auch nicht weiterhelfen würde, wenn wir ihn fänden – das Schloss ließ sich von innen nicht öffnen.
    Ich wollte meine Cousine Emilia wieder an die Hand nehmen, aber das ging nicht. Sie hielt eine Schatulle fest, ein kleines silbernes Kästchen, rund, mit einem Deckel, in den schwarz eine Spirale oder eigentlich ein Labyrinth mit mehreren Eingängen geprägt war: Die Wege waren Sackgassen, und es war kompliziert, bis zum Mittelpunkt zu gelangen. Wie wir das Kästchen dann unterwegs verloren hatten, war unklar. Wir hätten zurückgehen sollen, um es zu holen, aber der Hamam hatte sich mit Menschen gefüllt, Arbeiter trugen große, massive Kisten durch das Getümmel, im allgemeinenDurcheinander sahen wir, wie Opa Simon einen Stadtplan auseinanderfaltete und darauf etwas zeigte. Die Lehrer aus unserem Gymnasium standen in einer Gruppe zusammen, betrachteten die Verzierungen der Kuppel und diskutierten über den Baustil, im Hintergrund sah man ein Mädchen in Weiß mit einem Tablett, auf dem dampfende kleine Teegläser standen, durch die kleineren Zimmer gehen. In der Raummitte erinnerte das Ganze an einen festlichen Empfang, doch in den Ecken und kleineren Räumen herrschte eine lässige, gar zügellose Atmosphäre, wie sie sonst typisch ist für Hochzeiten. Auf kleinen Kinderwagenrädern wurde das Bronzepferd irgendeines Denkmals durch die Menge geschoben. Meine Cousine Emilia sollte etwas rezitieren. Sie wurde vor die Leute gezogen und sagte den Satz über den Hamam rückwärts auf, doch er geriet ihr sinnlos und unverständlich. Die Lehrer schimpften. »So geht das nicht, so geht das nicht«, kreischte die Alte, die aus dem Becken gestiegen war.
    Ich wachte schweißgebadet auf. Mein Kopf war schwer und ich hatte furchtbaren Durst.
    Am nächsten Morgen durfte ich nicht zur Schule gehen. Es war offensichtlich, dass ich mich erkältet hatte. Ich lag zu Hause, trank Lindenblütentee, schwitzte vom Aspirin und langweilte mich. Hin und wieder stieg das Fieber stark an. Der Arzt, der nach mir sah, meinte, ich hätte eine Lungenentzündung.
    Als es mir wieder besser ging, kam meine Cousine Emilia zu Besuch. Sie setzte sich mir gegenüber und ordnete auf dem kleinen Tisch ihre Kästchen. In Opa Simons Schubladen hatte sie welche gefunden, in denen früher Medikamente verwahrt worden waren – Arzneien gegen Husten, gegen Migräne,gegen Blutarmut. Auf den Deckeln standen die Namen von Apotheken in Thessaloniki, Konstantinopel und Alexandria, die es sicher schon seit vielen Jahren nicht mehr gab. Wer weiß, wie lange sie schon in Opa Simons Schubladen gelegen hatten; wahrscheinlich empfahl er seinen Altersgenossen diese Medikamente noch immer. Als Emilia sie entdeckt hatte, ließ sie nicht locker, bis sie Opa Simon schließlich durch Bitten und Betteln dazu bewegt hatte, sie ihr zu schenken. Sie las mir die französischen Beschriftungen vor. Plötzlich wandte sie sich mir zu. Ich hatte den Eindruck, dass sie etwas von mir erwartete.
    »Weißt du was«, sagte ich, »ich habe geträumt, dass du ein Kästchen verloren hast.«
    Emilia schien zusammenzuzucken. Es trat ein Moment der Stille ein.
    »Was für eins?«, fragte sie dann leise.
    »Ein silbernes, rundes«, sagte ich. »So eins habe ich noch nie bei dir gesehen.«
    Emilia kauerte sich auf dem Stuhl zusammen. Ihre Augen glänzten, als hätte sie hohes Fieber, während ich ihr alles über das Kästchen erzählte: wie groß und aus welchem Material es war, wie die Zeichnung

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