Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)
durchlöcherten Böden. Die Tür des Hamam stand offen. Überall waren Leute.
Vor den Kellerfenstern lagen noch immer die letzten Reste des eingebrachten Brennholzes, doch die Schatten waren schon dunkelviolett geworden und oben auf den Gartenmauern breitete sich grünlich bleiches Moos auf den Ziegeln aus.
»Weißt du was«, verkündeten mir die Tanten, als ich kaum zur Tür herein war, »aus dem Hamam wird ein Museum gemacht.«
***
An einem dieser Tage kamen Lastwagen und der Hamam begann sich zu leeren. Zuerst wurden die Kisten mit Handelswareherausgebracht, die Fässer, die Drahtrollen, die Öfen, die emaillierten Wannen, die Kaninchenställe, die zerbrochenen Parkbänke, die beschädigten Schnapskessel, und danach kamen Steinmörser zum Zerstoßen von Kaffeebohnen ans Tageslicht, Säulen aus zerstörten Moscheen, Teile von Kutschen, Bronzepferde von gestürzten Denkmälern, große siebenarmige Leuchter aus zerstörten Synagogen, marmorne Gedenktafeln mit halb ausgelöschten Goldbuchstaben, Glocken aus dem Turm der abgebrannten Georgi-Kirche, das Laufwerk der kaputten Stadtuhr, abgehängte Ladenschilder inzwischen verstaatlichter Geschäfte, Pappmodelle von Fabriken, noch von den ersten Maifeiertags-Paraden nach dem Krieg, große Holzpuppen aus dem türkischen Schattentheater, Feuerwehrpumpen mit Handantrieb, eine Äskulap-Skulptur ohne Kopf aus irgendeiner Apotheke, Abschussvorrichtungen für Feuerwerkskörper, die an Nationalfeiertagen abgefeuert wurden, sogar ein Flügel eines Schulungs-Doppeldeckers, der eines Tages in den Fluss gestürzt war, sowie ein römischer Sarkophag, den man bei der Arbeit am Fundament eines Neubaus ausgegraben hatte – eine ganze Sturzflut von Gegenständen, die die jüngere Geschichte der Stadt ohne jegliche Ordnung hier aufgehäuft hatte. Gegen Mittag wurden die Arbeiten plötzlich eingestellt. Eine Aufsehen erregende Nachricht verbreitete sich im Viertel und vor dem Hamam strömten die Leute zusammen.
Beim Durchwühlen eines Haufens mit Lumpen hatten die Arbeiter die Leiche einer alten Frau gefunden. Man nahm an, dass es sich um eine obdachlose Zigeunerin handelte, wahrscheinlich eine Bettlerin. Wie sie hineingekommen war – dafür hatte niemand eine Erklärung. Rund um den Hamamstand eine große Menschenmenge: Das ganze Basarviertel hatte sich eingefunden, um an der allgemeinen Aufregung teilzuhaben. Es hieß, die Leiche sei völlig ausgetrocknet. Manche behaupteten, es handele sich um eine Mumie, und deshalb wurde Ägypten ins Spiel gebracht. Es wurden die unwahrscheinlichsten Vermutungen angestellt.
Opa Simon ging los und kam wieder zurück. Danach saß er lange über dem alten Stadtplan, maß etwas darauf ab und schüttelte den Kopf.
Dann kam Onkel Jakov und übermittelte uns das Gerücht, die Alte habe in einer ihrer vertrockneten Hände ein kleines silbernes Kästchen fest umschlossen gehalten. Darin habe man einen Ring gefunden.
Im Haus herrschte Kommen und Gehen. Alle sprachen über die Alte im Hamam. Ich saß in einer Ecke der Küche und las. »Kommst du nicht rüber?«, fragten die anderen. Ich schüttelte den Kopf.
In diesem Augenblick kam meine Cousine Emilia herein. Ihr Blick war abwesend, leer. Die Tanten fragten sie, ob sie dort gewesen sei. Sie nickte, sagte aber nichts weiter.
Ich zog meine Cousine Emilia von dem Familiengetümmel fort und fragte sie flüsternd, ob sie das Kästchen und den Ring gesehen habe. Sie war einen Moment lang wie erstarrt und schüttelte dann den Kopf.
Ihr verlorener, starrer, leerer Blick, der etwas verbergen, vor etwas flüchten, sich vor irgendeiner Erkenntnis schützen wollte, verriet mir, dass sie log.
Wir gingen in den Hof. Die schwarzen, spitzen Knospen an den Zweigen der Sauerkirsche waren angeschwollen und die Rinde des Stammes zeigte einen weichen Glanz, den sie nichtgehabt hatte, solange es noch Winter war. Im Haus summten die Stimmen wie in einem brodelnden Bienenstock.
»Du hast sie gesehen«, sagte ich leise.
Meine Cousine Emilia blickte in eine andere Richtung, schluckte mühsam ihren Speichel hinunter und sagte mit ganz veränderter Stimme: »Ja, sie waren es.«
***
Später, als aus dem Hamam längst ein Museum geworden war, entdeckte man, dass er noch einen Eingang gehabt hatte. Dieser hatte zu unserem Hof geführt, war aber schon vor langer Zeit zugemauert worden. Die Fachleute meinten, das sei vor über zwei Jahrhunderten geschehen. Die Arbeiten waren sehr gut ausgeführt: Von außen war nichts zu
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