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Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Titel: Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vlada Urosevic
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am dunklen Himmel Wildgänse auf ihrem Weg nach Süden vorüberflogen, brach meine Cousine Emilia ihre Geschichte plötzlich ab. Gerade hatte sie erzählt, wie sie durch gewölbeartige Räume geirrt war, an Wänden entlang, deren undeutliche Verzierungen halb abgebröckelt waren. Auf ihrem Gesicht schien jäh das Licht der Erkenntnis auf. »Hör mal«, sagte sie, »ich glaube, das war im Hamam.«
    ***
    Wir wohnten hinter dem Hamam, einem merkwürdigen, unförmigen Gebäude, das seine weiblich schwellenden Kuppeln über einem Haufen hässlicher grauer Lagerhäuser und Werkstätten emporreckte. Es diente schon lange nicht mehr als Bad, angeblich war es sogar noch nie als solches genutzt worden. Es gab da eine Geschichte, die sich in der Abenddämmerung die Frauen aus der Nachbarschaft mit gedämpfter Stimme erzählten: Gleich in den ersten Tagen nach Fertigstellung des Hamam sei eine junge Türkin, die am Vorabend ihrer Hochzeit zum rituellen Baden gekommen war, in seinen Gängen verschollen. Die Geschichte war unklar, gewisse Teile wurden nur im Flüsterton erzählt. »Und was ist dann passiert?«, fragten wir. Empört über unsere Neugier antworteten die Frauen: »Nichts. Sie wurde nie gefunden.« Seitdem diente der Hamam als Lagerraum. Bei den seltenen Gelegenheiten, wenn Waren hinein- oder herausgebracht wurden, konnten wir einen Blick in die Dunkelheit werfen. Der Boden bestand aus großen Marmorplatten und an den Wänden waren, von der Feuchtigkeit zerfressen, Reste einstiger Verzierungen zu sehen. Der Hamam war riesengroß. In ihm gab es ein wahres Labyrinth von Korridoren, immer wieder öffneten sich Türen, die in kleinere Räume und von dort in noch kleinere führten. Aber es gelang uns nicht, hineinzuschlüpfen: Noch bevor wir auch nur die Schwelle erreicht hatten, wurden wir schon barsch von den mit dem Ausladen beschäftigten Arbeitern zurückgerufen – angeblich war dann irgendeine schwere Kiste hineinzutragen und wir sollten aus dem Weg gehen. Aber eigentlich achteten sie die ganze Zeit nur darauf, dass wir uns nicht zu weit in die geheimnisvolle Dunkelheit des Hamam vorwagten. Die große Tür schloss sich immer raschwieder, und wir blieben im engen Hof zurück, der voller leerer Kisten, zerdrückter Kartons, Hobelspäne, Glasscherben und Stroh war.
    Der Hamam nahm bei unseren Streifzügen einen bedeutenden Platz ein. Waren wir an Winterabenden, wenn bläulicher Nebel die weiter entfernt liegenden Abschnitte der Straße einhüllte, auf dem Weg dorthin, sagten wir uns immer wieder den Zauberspruch vor: »I do amam mama odi« – »Und zum Hamam ging die Mama«. Dieser Satz, der vorwärts und rückwärts gesprochen gleich lautet, war die geheime Losung, das wunderbare »Sesam öffne dich!«, das uns den Zutritt zum Reich des Geheimnisses ermöglichen sollte. Wir bezwangen die Angst, die die Geschichten über das alte Gebäude ausgelöst hatten, sprangen in der Dämmerung über den Zaun und kletterten auf den Haufen zerbrochener Kisten, um durch die kleinen Fenster in das finstere Innere zu spähen. Es kam uns so vor, als brenne irgendwo tief in dem dunklen Gebäude eine Lampe, als bewege sich dort jemand, und wir glaubten, menschliche Schatten zu sehen und Stimmen zu hören. Es war, als renne ein barfüßiges Mädchen in einem langen weißen Kleid durch die Dunkelheit – oder war das nur der Widerschein der im Wind schaukelnden Straßenlaterne? Vom Starren in die Finsternis müde geworden, traten wir den Rückzug zum Haus meines Großvaters an, wobei wir den geheimnisvollen Satz wiederholten. Wir flüsterten: »I do amam mama odi«, wobei wir uns bemühten, den Satz rückwärts aufzusagen, und ihn uns dafür in geschriebener Form vorstellten.
    Über dem Hamam krächzten die Krähen, der Winterhimmel rötete sich, die Luft roch nach Schnee.
    »Ich glaube, alles, was ich träume, passiert dort«, sagte meine Cousine Emilia, während sie durch das Fenster zu den dunklen Kuppeln des Hamam hinübersah.
    ***
    Ein paar Abende lang roch es nach Schnee: ein Geruch von sauberem, glänzendem Fell, von Kirschbaumrinde, die von Kaninchen angenagt worden ist, von frisch gewaschener Unterwäsche, von gelüfteten und gereinigten kalten Räumen. Die Wolken wurden immer schwerer.
    Ich saß in der Küche und machte Hausaufgaben. Jemand klopfte gegen die Scheibe. Unter dem Fenster stand meine Cousine Emilia.
    Ich bedeutete ihr, hereinzukommen; sie wollte nicht. Vom Hof aus schaute sie mich mit von der Kälte gerötetem

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