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Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Titel: Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vlada Urosevic
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Onkel Filip am nächsten Sonntagmittag von seinem Frühschoppen im Wirtshaus am Fluss zurückkam, warteten wir, bis er an der Straßenecke auftauchte, und legten den Ring auf die dunkle Steinplatte am Hofeingang.
    Einen Augenblick lang blieben wir im Ungewissen, ob er den Ring entdecken würde. Doch dann sahen wir, gut versteckt hinter dem Vorhang eines Fensters zum Hof, wie er sich bückte und ihn aufhob.
    Er kam in die Küche, wo sich die Familie bereits zum sonntäglichen Mittagessen versammelt hatte, und sagte: »Wie ihr sicher noch wisst …«
    Der Onkel war unermesslich stolz auf seinen Fund. Endlich hatte er einen handfesten Beweis, dass seine Träume die Zukunft wirklich vorhersagen konnten, hatte die endgültige und unwiderlegbare Bestätigung, dass seine Träume prophetische Kraft in sich trugen. Er nahm an, der Ring sei sehr alt und wertvoll. Also brachte er ihn in sein Zimmer, schloss ihn in der Nachttischschublade ein und zeigte ihn nur bei seltenen Gelegenheiten Gästen, die uns einen Feiertagsbesuch abstatteten.
    Meine Cousine Emilia und ich sagten nichts. Onkel Filip nahm seinen Fund zu wichtig, als dass wir es gewagt hätten, unsere Rolle in der ganzen Geschichte einzugestehen. Wir waren zu weit gegangen, um nun noch eine Kehrtwendung machen zu können.
    Doch dann wurde Oma Spomenka krank. Sie lag im Krankenhaus, wo wir sie voller Sorge besuchten. Wir brachten ihrÄpfel mit, die sie dann unter den anderen Patienten verteilte, da sie selbst sie nicht essen konnte. Die Ärzte redeten von Penicillin, das sich aber nirgendwo auftreiben ließ. Damals war Penicillin teurer als Gold und man bekam es nur auf dem Schwarzmarkt.
    Endlich tauchte jemand auf, der uns versprach, Penicillin zu besorgen. Dafür war viel Geld auf einen Schlag nötig. Die ganze Familie geriet in Aufruhr. Es wurden Namen von Verwandten genannt, von denen sich vielleicht etwas leihen ließe, und Gegenstände erwähnt, die möglicherweise verkauft werden konnten. Onkel Filip kam der Ring in den Sinn. Er stieg hinauf in sein Dachkämmerchen, schloss die Nachttischschublade auf und kam mit dem Ring in der Hand in die Küche. Dann zog er sich an und ging los; er sagte, er werde mit viel Geld zurückkommen. Meine Cousine Emilia und ich schauten ihm traurig hinterher, verzweifelt angesichts der Wendung, die unser Spiel genommen hatte. Beklommen warteten wir auf seine Rückkehr. Im Haus war es still und traurig, außer uns war niemand da. »Ich werde ihm alles erzählen«, sagte meine Cousine Emilia und begann zu weinen. Wir saßen da und warteten.
    Der Onkel kehrte spät zurück. Er kam in die Küche gestürmt und schüttete einen Haufen Geld auf den Tisch. Der Goldschmied, zu dem er den Ring gebracht hatte, war der Meinung gewesen, er sei alt und wertvoll, und hatte ihm geraten, sich ans Museum zu wenden. Im Museum hatten sie den Ring lange untersucht und schließlich festgestellt, dass es sich um ein ganz außergewöhnliches, sechshundert Jahre altes Stück handelte; dem Onkel war eine Summe angeboten worden, die er sofort akzeptiert hatte. Strahlend vor Stolz schauteOnkel Filip uns an – uns Zweifler und Spötter, die wir alle nicht fest an die in Träumen verborgenen gewaltigen Wunder geglaubt hatten. Es war sein großer Moment des Triumphes.
    Oma Spomenka starb trotzdem. Das Penicillin, das unter fragwürdigen Umständen von dem Erlös aus dem Verkauf des Wunderrings erstanden worden war, stellte sich als wertlos heraus: Man hatte dem Onkel irgendeine trübe Flüssigkeit angedreht, die niemandem hätte helfen können. Doch deshalb verdunkelte sich für Onkel Filip der strahlende Glanz seiner Träume noch lange nicht. Er glaubte weiterhin mit unbeirrbarer Überzeugung an ihre tiefen, geheimnisvollen und unerforschlichen Botschaften. Wenn er die Geschichte vom Traum mit dem Ring erzählte, wandelte er hin und wieder ein paar Details ab. Die Frau mit dem schwarz verschleierten Gesicht erwähnte er nie mehr.

D ER VERGRABENE S CHATZ
    Dass am Stadtrand beim Fluss, wo die Häuschen der Vorstadt sich in Sumpfwiesen verloren, eines Frühlingsabends die Schmiede samt dem Schmied Jašar und seinen Söhnen bei einer furchtbaren Explosion in die Luft flog, stand in keinem erkennbaren Zusammenhang mit den Träumen meines Onkels Filip.
    Jeder kennt die Geschichte aus ›Tausendundeiner Nacht‹, in der ein Mann aus Kairo davon träumt, dass in Isfahan in Persien ein großer Schatz auf ihn wartet. Als er nach vielen Mühen in Isfahan ankommt, wird er

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