Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)
dem besten selbst gebrannten Schnaps aus unserem Keller versorgt und Opa Simon fragte sie umständlich und vorsichtig aus nach den »Schurken, die in meinem Weinberg gegraben haben«. Onkel Filips Träume wurden dabei natürlich mit keinem Wort erwähnt.
Die Tanten gingen auf einen Kaffee zu ihren Freundinnen und fragten ganz beiläufig, ob in letzter Zeit vielleicht irgendjemand antiken Schmuck zum Verkauf angeboten habe, und am Wirtshaustisch lenkten die Onkel das Gespräch auf das Ausgraben verborgener Schätze und auf Gold, das außer Landes geschafft wurde. Doch dann führte die Spur ganz woandershin.
Zuerst erzählte ein Kutscher Opa Simon, dass der Schmied Jašar es abgelehnt habe, ihm eine kaputte Feder an der Kutsche zu reparieren. Außerdem sei ihm zu Ohren gekommen, dass dieser in letzter Zeit auch andere Kunden abgewiesen habe, mit der Begründung, sehr beschäftigt zu sein. Ein Spediteur erwähnte beiläufig, er habe dem Schmied Jašar just in den Tagen vor unserer Wanderung in den Weinberg sein Fuhrwerk ausgeliehen. Und als schließlich Onkel Filip erfuhr, dass nämlicher Jašar bei einem Seiler aus dem Basarviertel einen mehrere Meter langen, dicken Strick gekauft hatte, schloss sich der Kreis der Nachforschungen.
Opa Simon berief den Familienrat ein und in der Küche, aus der man mich, meine Cousine Emilia und den Kater Fjodor verbannt hatte, wurde lang und breit darüber beratschlagt,was zu tun sei. Der Nachmittag war bereits in eine durchscheinende, frühlingshafte Dämmerung übergegangen, als sie mit entschlossenem Ausdruck in den Gesichtern aus der verrauchten Küche kamen.
»Also«, sagte Opa Simon. Er blieb auf der Türschwelle stehen und nahm die Pose eines Heerführers ein, der seine Generäle über den Augenblick in Kenntnis setzt, in dem die Schlacht beginnen soll. »Morgen früh gehen wir zum Schmied.«
Die Onkel nickten nachdrücklich.
Eine knappe halbe Stunde später, als meine Cousine Emilia und ich gerade am Fluss spazieren gingen, ereignete sich in der Ferne, dort wo die Stadt aufhörte, eine heftige Explosion. Zuerst lief ein Beben durch die laue Luft und dann brach der Knall los wie eine aufplatzende Blase. Wir sahen, wie sich am dunklen Himmel eine feurige Faust öffnete, wie die orangenen Flammenfinger versuchten, etwas zu packen, wie sie sich kraftlos krümmten und kleiner wurden, um im nächsten Moment in einem violetten Widerschein zu verschwinden, gefolgt von kleineren Detonationen. Die Leute an der Uferstraße blieben in der Erwartung stehen, dass sich noch etwas ereignen würde, aber es tat sich nichts mehr. Nur die Hunde in den Vorstädten meldeten sich mit wütendem Gebell.
Spät nachts, als wir schon fast alle im Bett lagen, kam Onkel Jakov und im Haus wurde es unruhig. Kerzen wurden angezündet, Türen geöffnet und nervöser Lärm lief von Raum zu Raum. Ich rannte von dem Zimmer im ersten Stock, wo mich das Stimmengewirr aufgeweckt hatte, die Treppe hinunter; aus der anderen Tür kam im Nachthemd meine Cousine Emilia gelaufen. Auf den untersten Treppenstufen stehend,hörten wir die Neuigkeit: Jašars Schmiede war von einer heftigen Explosion völlig zerstört worden.
Der Polizeibericht am nächsten Tag war kurz. Der Schmied hatte eine große Ladung Munition, die aus dem Krieg stammte, ausgegraben und in der Schmiede versteckt. Beim Versuch, das Metall vom Sprengstoff zu lösen, waren er und seine zwei Söhne getötet worden.
Wir saßen in der Küche; die Frühlingssonne schien in den Hof, wo in einer Ecke die ersten Krokusse leuchteten. In den Zweigen der Sauerkirsche tauschten zwei Elstern lautstark kurze Mitteilungen aus. Im Gegensatz zu der Heiterkeit des Morgens wirkte die Küche wie ein Ort weit oben im Norden, auf dem ein kalter Schatten lastet. Die Familienmitglieder gingen auseinander, einer nach dem anderen fand einen Vorwand, um sich zu verabschieden.
»Das hier ist trotzdem anders als die Geschichte aus ›Tausendundeiner Nacht‹«, sagte ich. »Aber ich komme nicht darauf, woran das liegt.«
»Der Schmied hätte von einem von uns von dem Traum erfahren müssen«, sagte Emilia.
»Oder einer von uns hätte von der Explosion träumen müssen.«
»Oder Onkel Filip und der Schmied hätten sich in einem zufälligen Gespräch über ihre Träume austauschen müssen.«
»Oder der Schmied hätte vom Schatz träumen müssen und Onkel Filip von der Explosion.«
Wir versuchten vergeblich, Onkel Filips Träume in Einklang mit dieser bemerkenswerten
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