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Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Titel: Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vlada Urosevic
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jemandem etwas antun wollen und zu diesem Zweck bestimmte Aktivitäten entfalten, die Ihnen das ermöglichen sollen, dann kann die Tat – besonders wenn es um materielle Mittel geht – als bereits begonnen betrachtet werden. Nehmen wir zum Beispiel …« Opa Simon und der Richter Pletvarski hatten den Flur bereits durchquert. Fetzen ihres Gesprächs hallten imHof wider, mischten sich mit dem Quietschen der Schwengelpumpe, dem Geräusch des auf den Beton spritzenden Wassers und den Rufen der Kinder, die in der Dunkelheit Verstecken spielten.
    Der Kater Fjodor, der bisher in einem Winkel des Flurs geschlafen hatte, wachte auf, reckte sich und lief überraschend fröhlich auf uns zu. Mit einem Satz war er zwischen uns auf dem Kanapee. Unsere Hände, die wir beide in der Absicht gehoben hatten, ihn zu streicheln, trafen sich auf seinem Fell. Meine Cousine Emilia sah mich an. Und plötzlich nahm sie Abstand von ihrem Zorn, als wäre er völlig belanglos, lächelte mir komplizenhaft zu und raunte:
    »Er weiß alles. Er sieht unsere Träume.«

E INHORNJAGD
    Das Glaskügelchen traf auf die Wasseroberfläche und zersprang. Dann kam ein anderes geflogen: Ich sah es von unten aus dem Wasser. Ich saß, zusammengekauert in der Ecke, in einer Art Aquarium. Das Aquarium barst. Das Wasser lief aus. Ich blieb auf dem Trockenen zurück. Dann wachte ich auf.
    Das Geräusch des berstenden Aquariums wiederholte sich. Etwas Festes schlug ans Fenster, und ich begriff: Jemand warf Steinchen gegen die Scheibe.
    Unten im Hof standen meine Freunde aus dem Gymnasium: Nestor, der kleine, hinkende Miroslav, Pavle Kondratenko und Najden, genannt die Klette. Sie standen gebückt da und suchten neue Steinchen. Die Schirme ihrer Schülermützen leuchteten mit einem unirdischen Glanz. Es war Anfang Mai und der Mond war grün.
    »Was ist los?«, fragte ich. Ich wusste nicht, wie spät es war: Ich war eingeschlafen, aber wie lange war das her?
    »Los, komm runter«, sagte Nestor. »Auf geht’s!«
    »Wohin?«, fragte ich und versuchte, nicht verschlafen auszusehen.
    »Du Schlafmütze«, sagte Nestor. »In den Park. Wir jagen Einhörner.«
    Einen Augenblick lang verharrte ich unentschlossen. Die Straße lag im Mondlicht. Pfähle, Zäune, Pforten – alles warf einen Schatten, samtweich, tief, nahezu blau. Auf den Telefonleitungen, den Klinken, den Aushängeschildern der Läden, den schmiedeeisernen Balkongeländern lag der Schein des Vollmonds. Die Luft war so grün, als schaute man durch den dicken Boden einer Flasche. In einer solchen Nacht war alles möglich, aber ich war immer noch skeptisch.
    »Es gibt keine Einhörner«, sagte ich. »Einhörner sind Fabeltiere, von denen man annahm, dass sie in Indien und in Äthiopien leben. Die alten Reisenden haben sie in ihren Berichten beschrieben, sie sollen ein langes, gedrehtes Horn mitten auf der Stirn haben. In den Kirchen wurden oft solche Hörner aufbewahrt, aber dann hat man bewiesen …«
    »Red nicht so schlau daher«, sagte Pavle Kondratenko von unten. »Komm runter. Bis wir hier loskommen, sind alle schon erschlagen.«
    »Du siehst aus wie ein Sträfling in diesem Pyjama«, sagte der kleine Miroslav. »Hast du nachts immer so was Komisches an?«
    »In solchen Pyjamas träumt man nur klaustrophobische Träume«, sagte Najden die Klette, voller Stolz, dass er ein seltenes Fremdwort gebraucht hatte.
    Es war sinnlos, hier am Fenster stehen zu bleiben und Zielscheibe ihrer dummen Witze zu sein. Inzwischen war ich munter geworden. Natürlich gab es keine Einhörner, aber die Nacht versprach ungewöhnliche Erlebnisse.
    »Wartet auf mich«, sagte ich. Ich zog mich schnell an und nahm die Schuhe in die Hand. Auf Zehenspitzen, um meine Verwandten nicht zu wecken, ging ich durch den Flur undöffnete die Außentür. Auf der Schwelle blieb ich stehen und lauschte.
    Das ganze Haus schlief. Von oben vernahm man das Schnarchen von Opa Simon, es klang wie das Keuchen einer erschöpften Lokomotive. Das trockene Holz der Möbel knackte. Im Salon schlug die große Wanduhr irgendeine nächtliche Stunde.
    Ich zog die Tür hinter mir zu, schlüpfte in meine Schuhe und sprang die Treppe hinunter. Die Nachtluft war kühl. Sie roch nach frisch umgegrabener Erde, nach zertretenem Gras, nach dem Fluss. Vom Graben hinter dem Haus hörte man die Liebesrufe der Frösche. Sie zogen ihren unbestimmten, gutturalen Laut in einem dünnen Silberfaden in die Länge, er zitterte bis zum Zerreißen gespannt in der Luft.
    »Wir haben

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