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Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)

Titel: Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vlada Urosevic
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Bank aus. Diesmal lagen wir im hohen Gras. Das Tier kam beinahe sofort.
    In dem Augenblick, als es das Horn in Emilias Schoß legte, schlug Najden mit dem Brett, das er von der Bank losgebrochen hatte, nach ihm. Der Schädel sprang mit einem dumpfen Geräusch.
    Emilia stand wie verzaubert über dem toten Tier. Ihre Augen waren weit aufgerissen: Ob vor Aufregung oder vor Entsetzen, ließ sich nicht sagen.
    Wir drangen tiefer in den Park vor. Auf halbem Weg kam uns der Parkwächter entgegen, der alte Šaban, in einem schwarzen Sonntagsanzug, als wäre er einem altertümlichen englischen Theaterstück entsprungen. Statt eines Gehstocks hatte er sich einen Stock zum Aufspießen von Laub unter die Achsel geklemmt.
    »Aber was macht ihr denn da«, sagte er verzweifelt. »Tut das nicht, Kinder.«
    »Wir machen doch gar nichts«, sagte Pavle Kondratenko. »Wir gehen nur spazieren. Ist das etwa verboten?«
    »Tut das nicht, Kinder«, sagte Šaban. »Ihr habt alle erschlagen.«
    »Wen haben wir erschlagen?«, sagte Pavle drohend. »Komm, red keinen Quatsch.«
    Vor sich hin murmelnd entfernte sich Šaban. Aus einiger Entfernung rief er uns zu: »Dafür werdet ihr büßen, dass ihr es wisst!«
    Der kleine Miroslav drohte ihm mit dem Ast.
    Wir überquerten von silbernem Blütenstaub überpuderte Lichtungen und Schattenflächen, auf denen die Luft bleiern lastete, wie in einer Höhle. Die Nacht schritt voran: Sie holte ständig neue Stunden aus ihrer dunklen Schatzkammer, wechselte ihre großen Geldscheine gegen kleine blanke Münzen und verprasste sie verschwenderisch. Die Pfade nahmen unerwartete Wendungen, verflochten sich, verwandelten sich in ein Labyrinth. Plötzlich entdeckten wir in der Ferne ein Licht. Zwischen den Bäumen tat sich eine Öffnung auf. Dort stand ein Restaurant, das einmal der Bahnhof der kleinen Ausflügler-Eisenbahn gewesen war. Inzwischen wurde durch den Kartenschalter gegrilltes Fleisch gereicht und auf dem Bahnsteig standen Stühle und Tische. Aus dem Tümpel, der einmal ein kleiner See mit über das Wasser hängenden Trauerweiden gewesen war, äußerten einige Frösche mit langgezogenen Tönen ihre Erregung angesichts der hellen Nacht.
    Auf dem ehemaligen Bahnsteig saßen Gäste, die auf keinen Zug mehr warteten, sondern Bier tranken. Unter ihnen erkannten wir unseren Tierkundelehrer Karaman. Er saß mit dem Zoodirektor Dudevski zusammen und tat so, als bemerkte er uns nicht. Offensichtlich ziemte es sich nicht, zu dieser nächtlichen Stunde in einem abgelegenen Teil des ParksSchülern zu begegnen. Er drehte uns sogar absichtlich seinen Rücken zu und gab uns damit die Gelegenheit, ungesehen an ihm vorbeizuschleichen.
    »Passen Sie mal auf«, sagte er gerade und schlug dem Zoodirektor freundschaftlich auf die Schulter, »dieses Phänomen der europäischen Fauna …«
    Es war offensichtlich, dass sie von Einhörnern sprachen. Während wir hinter ihrem Rücken unser Bier hinunterstürzten, drangen Fetzen ihres Gesprächs bis zu uns. Darin war die Rede von endemischen Arten, Mutationen, pathologischen Veränderungen, einer rückläufigen Evolution, der Lust am Verschwinden. »So wie es im achtzehnten Jahrhundert mit dem Vogel Dodo auf den Inseln im Indischen Ozean passiert ist«, sagte der Zoodirektor deutlich hörbar. »Stellen Sie sich vor, jemand von der Insel Mauritius würde mich anrufen und würde mir anbieten …«
    Ohne den Inhalt des erfundenen Telefongesprächs zu erfahren gingen wir weiter, tauchten in die Schatten des Parks ein wie in schweres, finsteres Wasser. Auf den Lichtungen saßen Mädchen auf den Bänken, ganz allein, und warteten mit im Schoß verschränkten Händen. Aus den Büschen drangen die Geräusche ihrer verborgenen Begleiter. Entlang der dunklen Alleen waren im Gras die weißen Leiber der getöteten Tiere zu erkennen. Es war, als läge über einigen Lichtungen des Parks leichter, durchsichtiger Dunst. Als wir näherkamen, sahen wir, dass dies Wiesen voller verblühtem Löwenzahn waren: Seine weißlichen und luftigen Kugeln zitterten verwunschen unter dem Mond. Angezogen von ihrer unwirklichen Ausstrahlung eilte Emilia stets zu diesen Stellen. Unter ihren Füßen erhob sich ein kleiner Wirbelwind aus den Funkensilberner Flugsamen. Mitten durch das Gestöber dieses daunenartigen Schnees lief meine Cousine Emilia, fast schwebend, gedankenverloren, körperlos, unberührbar.
    Unterwegs töteten wir noch ein paar der weißen Tiere. Während Emilia ruhig dasaß und das Tier sich

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