Meine Cousine Emilia: Roman (German Edition)
ein Lastwagen mit Brennholz eintreffen. Wir standen da, entgeistert, betrogen, unglücklich. Tante Milena war flammend rot geworden und versuchte, nicht zu uns herüberzusehen. Alle waren fröhlich und lachten, aber das Lachen klang in unseren Ohren ein bisschen gezwungen.
Dann brachte Onkel Jakov Tante Milena fort, in eine neue Wohnung. Die Verwandten zerstreuten sich. Die Nachmittage wurden gleichförmig und leer, ihnen fehlte der stille Glanz der einstigen Zusammenkünfte.
Der pfeifende Hund zeigte sich an den kastanienrotenAbenden des Vorfrühlings auch weiterhin mal hier und mal da, pfiff hinter den hohen Schornsteinen der Wohnblöcke, kratzte an den Dachrinnen, schwebte wie ein Ballon über den Dächern. Aber es glaubte niemand mehr an ihn.
D IE K ÜCHENSCHABEN- O MA
Im Haus gab es immer weniger Brot. Und je weniger Brot es im Haus gab, desto mehr Küchenschaben wagten sich aus den Ecken und Winkeln hervor.
Der Krieg näherte sich seinem Ende: An den ersten milden Frühlingsabenden roch man den Rauch von Akten, die auf den Feldern hinter den letzten Häusern verbrannt wurden, das Karbol aus den Waggons mit Verwundeten, die frische Erde aus den Schützengräben, die von italienischen Kriegsgefangenen in den nahen Bergen ausgehoben wurden, die verbrannten Reifen der Lastwagen, die sofort Feuer fingen, wenn jemand aus dem Schutz der Dunkelheit heraus eine Benzinflasche auf sie warf. In der Stadt verbreiteten sich die abenteuerlichsten Geschichten. In diesen Tagen ließ sich alles glauben.
Nach dem langen Winter wurden die Tage allmählich wärmer. Im ganzen Haus suchten die aus ihrer Winterstarre erwachten Küchenschaben nach den kleinsten Bröckchen Nahrung, sie bewegten in den Bodenritzen versteckt ihre nervösen Fühler und schlüpften durch die schmalsten Spalten. Opa Simon hatte den Kampf längst aufgegeben. Es nützte weder etwas, kochendes Wasser in ihre Verstecke zu schüttenoder Giftfallen aufzustellen, noch sie mit einer Mischung aus Schwefel und getrockneten Holunderblättern auszuräuchern – das führte nur dazu, dass sich der stinkende Qualm im ganzen Haus festsetzte. Mit Einbruch der Dunkelheit begann es in den dämmrigen Winkeln zu krabbeln und zu rascheln.
Meine Cousine Emilia und ich lauschten ihren Geräuschen und verfolgten ihre blitzschnellen Bewegungen; mit einer Mischung aus Grauen und Lust beobachteten wir ihre Invasion.
Meine Cousine Emilia kam oft zu uns: Von uns aus war es näher zum Schutzraum im Keller des großen Wohnblocks. Dorthin zu rennen war ein aufregendes Ritual. Sobald die Sirene zu heulen begann, wurde das Haus hastig verschlossen, wir liefen die sich schnell leerende Straße hinunter, der mit seinen Karten und Aufzeichnungen beladene Opa Simon trieb uns zur Eile an. Kissen, Wasserflaschen, Töpfe, Schals und Lampen auf den Armen stiegen wir alle die Treppe hinunter in den Keller. Eine Hand schirmte eine Kerze ab, in einem Winkel riss jemand ein Streichholz an: Einen Augenblick lang wurde eine Hand sichtbar, ein Teil eines Gesichts, Schatten wuchsen an den Wänden empor. Während die Empfindsameren unter uns schon das Brummen der Flugzeuge in der Ferne hörten, begannen meine Cousine und ich, uns Geschichten über Schokolade auszudenken, die aus den Flugzeugen abgeworfen wird, Geschichten über entfernte, vor langer Zeit nach Amerika ausgewanderte Verwandte, die auf äußerst komplizierte und ungewöhnliche Weise von uns erfahren haben, über einen schwarzen Piloten, der sich aus seinem abgestürzten Flugzeug gerettet hat und den wir auf unserem Dachboden verstecken könnten. Über unseren Köpfen trugen die riesigen fliegenden Festungen ihre Bombenlastzu den Ölfeldern bei Ploieşti, wir aber ersannen immer abstrusere Geschichten.
In diesem Schutzkeller bemerkten wir die Küchenschaben-Oma zum ersten Mal. Wie sie wirklich hieß, wussten wir nicht. Sie wohnte in einem kleinen Sträßchen hinter unserem Haus und schaffte es immer, schon bei den ersten Anzeichen eines Alarms mit ihren Trippelschritten vor allen anderen anzukommen und einen Platz im tiefsten Dunkel des Kellers zu ergattern. Sie war klein, dünn, verkümmert; ihr Gesicht war runzelig wie ein Apfel, der den ganzen Winter über auf einem Schrank gelegen hat. Im Schutzraum knabberte sie die ganze Zeit an trockenen Brotrinden, die sie in ihrer Hand verbarg: Man hörte nur, wie ihre Zähne die hart gewordene, fast versteinerte Rinde zermalmten. Wir mochten sie nicht. Es hieß, ihr Sohn arbeite bei der
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