Meine erste Luege
nicht, es zu stoppen, es macht, was es will, es flitzt überall hin.
Heute höre ich auf zu hoffen.
Ich schaue mich um, und nichts scheint wie vorher.
Ich weià nicht einmal, ob es je ein Vorher gegeben hat.
Ich weià nicht, ob es ein Nachher geben wird.
Ich weià überhaupt nichts mehr.
Da ist immer noch das weiÃe Heft, wie eine Tapete in meinem Hirn. So müssen sich die Irren fühlen, in ihren schneeweiÃen, mit Matratzen gepolsterten Zimmern. Sie schaukeln hin und her, und ihr Blick verliert sich, wo alle Farben ineinander verschwimmen.
Auch ich schaukle, ich kann nicht mal weinen. Ich kann nur schaukeln, ein bisschen vor, ein bisschen zurück, auf der Bettkante.
»Mama ist ganz steif und rund ⦠total dunkel ist ihr Mund ⦠doch Gemüse ist gesund â¦Â«
Von irgendwoher steigt dieser Singsang in mir hoch, ich habe ihn mir nicht ausgesucht, er hat sich mich ausgesucht.
»Forget. Forgot. Forgotten. Vergessen.«
»Forgive. Forgave. Forgiven. Vergeben.«
Wir hören die Verben, die uns laut vorgesagt werden, und wiederholen sie wie die Papageien. Dann müssen wir Sätze vervollständigen und die richtigen Verben einsetzen. Mein Banknachbar versucht abzuschreiben, doch ich bin weit weg, halte meinen Kuli in die Luft, höre den Klang der Wörter, verstehe aber ihren Sinn nicht, wie Odysseus bei den Sirenen, die mir aber wie die von der Polizei vorkommen.
»Hallo? Jemand zu Hause? Was muss man da einsetzen?«
»Wo?«
»Hier! Dritte Zeile, forget oder forgotten?«
»Ist egal.«
Nein, es ist nicht egal.
Ich will nicht im Waisenhaus enden, forget, schreibe ich und stoÃe ihn mit dem Ellbogen an. Die Tortur hat ein Ende, ich gebe die Arbeit ab.
Ich hoffe, ich habe mich gut geschlagen, ich glaube, ja.
Ich gehe zum Pult, um das Heft abzugeben, und ich habe das Gefühl, hundert Kilo schwer zu sein. Ich wiege weniger als die Hälfte, aber es ist, als wäre ich aus Stahlbeton mit einer Seele aus Eisen darin. Mir ist, als bewegte ich mich wie die Mumie Tutanchamuns, ganz steif. Ich spüre, wie der Boden nachgibt, als könnte er mich nicht tragen, oder vielleicht sind meine Knie plötzlich weich geworden. Ich spüre alles, und ich spüre nichts, und trotzdem erreiche ich das Ziel, zwinge mich zu lächeln. Es fühlt sich so ähnlich an, wie wenn du gerade vom Zahnarzt kommst und den Mund nicht mehr natürlich bewegen kannst, nachdem du ihn zwei Stunden lang aufgesperrt hast, die Backen tun mir weh.
»Sehr gut.«
Es scheint alles gut zu laufen, sehr gut.
Die Glocke läutet, wir sind wieder frei.
Andrea will zu mir kommen, nach dem Mittagessen.
Ich sage zu ihm:
»Phantastisch.«
Er sagt, er bringt Snowboard mit.
Ich sage:
»Noch besser.«
Ich gehe nach Hause. Geschickterweise nehme ich den Bürgersteig auf der anderen Seite vom Stand der Blumenfrau, damit sie nicht auf die Idee kommt, mich in ein Gespräch zu verwickeln. Ich beobachte sie aus der Ferne, wie sie die Stängel der Callas mit einer Geflügelschere schneidet. Sie hat böse Augen und groÃe, runzlige Hände. Bis vor nicht allzu langer Zeit hatte sie die Angewohnheit, mich zu streicheln, wenn Mama und ich bei ihr standen, um Blumen zu kaufen, kleine SträuÃe Freesien, die wie Schaumbad duften.
»Wollen Sie sie verschenken?«
»Nein, sie sind für mich.«
»Soll ich eine Schleife darumbinden?«
»Nein danke, das ist nicht nötig.«
Jedes Mal die gleichen Fragen und die gleichen Antworten, Mama, die versucht, sich nichts aus dem Gerede der alten Schnüfflerin zu machen, lässt eine Münze fallen oder das Portemonnaie, richtet ihr Haar, als wäre es ihr egal, und schluckt ein paarmal, bevor sie Auf Wiedersehen sagt. Und dann die Hand der Blumenfrau auf meiner Stirn, die sich anfühlt wie eine Schuhsohle im Gesicht, ein nackter Fuà auf dem Kopf, einer von denen mit diesen knubbeligen Hühneraugen.
Ich verstehe nicht, warum die alten Leute immerzu alle Kinder anfassen. Sie sollten lieber einen Abstand halten, der mindestens so groà ist wie die Anzahl der Jahre, die uns trennen.
Ich mache einen möglichst groÃen Bogen um sie.
Aber ich könnte, sollte, möchte Blumen für Mama kaufen, denn den Toten bringt man Blumen. Blumen bringt man den Verliebten, den Kranken und den Toten mit, da wird kein groÃer Unterschied gemacht.
Mama gefallen weiÃe
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