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Meine erste Luege

Meine erste Luege

Titel: Meine erste Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Mander
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Natur.«
    An der dritten Haltestelle steige ich aus.
    Ich komme bei dem Haus an, wo Andrea wohnt, und klingele.
    Â»Mama hatte es wahnsinnig eilig, weil sie zum Arzt muss.«
    Ich steige hoch zu ihnen.
    Bei Andrea zu Hause ist es nicht schlecht. Es herrscht immer ein ziemliches Chaos. Besser als bei Marco zu Hause, wo das Dienstmädchen dich gleich einschüchtert und alles aufgeräumt ist, mit Zeitungen und Büchern, die fächerförmig geordnet auf kleinen Tischen liegen, wie in Wartezimmern von Ärzten, und du fühlst dich schon krank, bist dir schon sicher, dass sie irgendwas bei dir finden, das nicht in Ordnung ist, hm, genau, wie ich vermutet habe, versuch mal zu husten. Perfekte Menschen geben dir immer das Gefühl, du bist ein Stück Dreck.
    Andreas Mama dagegen hat so ein bisschen eine unordentliche Art, sie hängt sich lange Tücher um und geht nie zum Friseur. Sie fuchtelt ständig mit den Armen, als müsste sie Fliegen verscheuchen. Auch jetzt wirbelt sie herum, und deshalb kümmert es sie nicht, dass Mama nicht mit hochkommen konnte. Wir trinken eine Cola und fahren dann zum Kino, um Ice Age anzusehen.
    Der Film ist nicht schlecht, nur dass ich ganz damit beschäftigt bin, darüber nachzudenken, wie ich es nachher mache, ich muss es schaffen, mich bringen zu lassen, ohne dass ihnen ein Verdacht kommt. In der Pause sagt mir Andrea, dass er morgen seine Hausaufgaben bei mir machen will. Ich kriege total die Panik, deshalb bekomme ich nicht viel davon mit, was mit den Tieren der Urzeit passiert, und es ist mir scheißegal, dass die Dodos aussterben, für mich hat eine neue Ära begonnen: Wir sind bei der fortgeschrittenen Lüge.
    Sie sagen dir immer, dass du nicht lügen sollst, doch ohne Lügen wäre ich schon im Waisenhaus.
    Das ist meine erste Lüge, jedenfalls meine erste richtige Lüge.
    Es hat keinen Sinn, die Finger zu kreuzen, oder die Zehen, sich beschwörend an die Nasenspitze zu greifen. Ich habe keine Wahl. Nur dass man doch auch in Filmen wenigstens zu zweit ist, um die Probleme anzugehen, es gibt eine Hauptperson in Schwierigkeiten und noch jemanden, der irgendwann auftaucht, um ihr zu helfen, aus der Scheiße rauszukommen. Vielleicht war es nicht richtig von mir, ins Kino zu gehen, doch das war wegen der Kleinigkeiten, einer, der ins Kino geht, kann keine tote Mama im Bett liegen haben.
    Zum Glück nervt Andreas Schwester, als wir aus dem Kino kommen, damit herum, dass sie sofort einen Hamburger essen gehen will, macht einen derartigen Aufstand, dass niemand sich fragt, warum ich so still bin.
    Â»Willst du mitkommen?«
    Â»Nein, ich kann nicht, Mama wartet auf mich, sie lässt sogar fragen, ob ihr mich vielleicht heimbringen könnt, weil sie weiß nicht, wann sie beim Arzt fertig ist.«
    Â»Sollen wir sie anrufen?«
    Â»Nein, beim Arzt hat sie das Handy immer ausgeschaltet.«
    Ich fühle mich wie ein Genie. Ein Genie, das aus dem siebten Stock gefallen und unverletzt geblieben ist, weil sie unten gerade Matratzen verladen haben, diese absurden Nachrichten, die man manchmal in der Zeitung liest und bei denen die Realität die Phantasie überholt.
    Â»Kind fällt aus dem Fenster und landet auf einem Blindenhund, der vor Schreck den Blinden zurückreißt, der sonst von einer Straßenbahn überfahren worden wäre. Ende gut, alles gut.« Oma war verrückt nach solchen Geschichten.
    Oder ich bin eine Katze, die sieben Leben hat, vom Balkon springt, um eine Taube zu fangen, und wie durch ein Wunder heil bleibt.
    Wir steigen ins Auto und sind in fünf Minuten bei mir zu Hause. Elisabetta sagt zu mir:
    Â»Selber schuld, wenn du nicht mit uns essen kommst.«
    Ich strecke ihr die Zunge raus.
    Andrea sagt:
    Â»Wir sehen uns morgen.«
    Seine Mama:
    Â»Tschüss, mein Kleiner.«
    Und irgendein Schimpfwort zu dem Typ, der flucht, weil wir in der zweiten Reihe halten.
    Sie warten, bis ich in der Tür bin, ich drehe mich nicht noch mal um und winke nicht.
    Als ich das Auto wegfahren höre, denke ich, dass ich vielleicht übertrieben habe. Einer geht ins Kino, kommt nach Hause zurück, und zu Hause liegt immer noch die tote Mama im Bett.
    Das geht doch nicht.
    Das ist doch Unsinn.
    Es ist nur eine Geschichte, die ich mir ausgedacht habe, um mir selbst Angst zu machen.
    Ich lese gern. Ich lese, ohne über die Wörter zu stolpern, auch wenn ich laut lesen soll, auch wenn Oma mich auf

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