Meine erste Luege
aber sie können nichts mehr daran machen.
Wenn ich tot bin, werde ich früher oder später anfangen so zu stinken wie Mama. Mir ist sehr kalt, der Geruch scheint mir jetzt weniger stark, die Balkontür steht offen, als wären wir im Hochsommer.
Ich versuche mir eine Ohrfeige zu geben, aber ich weià nicht, wie fest sie sein muss. Es ist nicht einfach, sich selbst Ohrfeigen zu geben.
Einmal hat Mama mir eine Ohrfeige gegeben.
»Nimm zurück, was du gesagt hast.«
»Nein.«
»Nimm sofort zurück, was du gesagt hast.«
»Nein und noch mal nein.«
Patsch! Die Ohrfeige ist eine Weile an meiner Backe kleben geblieben, wie ein warmer Geruch, der wehtut. Ich habe den Nachmittag im Schrank verbracht, ich habe überlegt, nie wieder rauszukommen.
Der Geruch.
Ich wusste, dass er früher oder später kommen würde. Vielleicht war er schon vorher da, aber nicht so stark. Oder vielleicht ist es, weil ich drauÃen gewesen bin, dass er mir schrecklicher vorkommt, wie wenn du jeden Tag ein klein wenig wächst und es gar nicht merkst, und dann trifft dich einer, der dich länger nicht gesehen hat, zufällig auf der StraÃe und sagt zu dir, du bist ja gewachsen!
Das ist wahr, so ist es. Dinge, die langsam wachsen, scheinen immer gleich, wenn du sie jeden Tag erlebst, aber von auÃen betrachtet, sind sie anders.
Ich will nie mehr in Mamas Zimmer gehen.
Ich hoffe, dass sie bei der Kälte einfriert wie die Mumie, die sie im Gletscher gefunden haben. Ich durchstöbere mein Gedächtnis, um ein Gefühl zu finden, das mit dem hier vergleichbar ist, aber da ist keins. Ich hoffe, dass sie keine Würmer bekommt wie die Zombies.
Opa benutzte immer Würmer zum Angeln.
»Guck mal, wie niedlich meine Würmchen sind«, sagte er und machte eine halb durchsichtige Plastikbox auf, wie man sie nimmt, um Reste im Kühlschrank zu verwahren.
»Siehst du die? Das sind die Kennedy-Würmchen. Und die, das sind die Papst-Johannes-Würmchen, und die da sind die Marilyn-Würmchen.«
Würmer von berühmten Leuten, die zu seiner Zeit gestorben sind. Er ordnete sie auf diese Art, den dicksten gab er die wichtigsten Namen, er war sehr stolz auf seine Würmer.
Ich will nicht an Würmer denken.
Ich will an nichts mehr denken.
Ich muss lernen, nichts zu denken.
Da muss es ein System geben.
Um nichts zu hören, reicht es, sich die Ohren zuzuhalten und laut zu singen, um nichts zu denken, was kann man da tun?
Der Kopf füllt sich mit mehr oder weniger dummen Gedanken, er macht alles allein, ich schaffe es nicht, ihn zu beherrschen. Es gibt keinen Schalter, um das Bild von den Würmern verschwinden zu lassen, die sich in meinem Kopf bewegen und dann aus den Augen herauskommen. Auch das Hirn mit seinen weiÃen Windungen ähnelt Opas Würmchen, sie bewegen sich in der Hirnschale, aber versteckt in einem Regal in der Abstellkammer und nicht in der Küche.
Der Fernseher fixiert mich mit seiner groÃen blanken Pupille eines Jurassic-Park -Tiers. Ich sehe mein Spiegelbild darin, und es würde mir gefallen, auf die andere Seite vom Bildschirm gesogen zu werden, hinein in den Fernseher, wie Alice. Bei den Kindern auf dem Bildschirm läuft alles wunderbar. Auch wenn eine Geschichte so lala anfängt, wird am Ende alles gut, die Erwachsenen versöhnen sich wieder, alle Probleme werden gelöst, dein Hund begrüÃt dich freundlich und schleckt dir das Gesicht ab. Die Fernsehnachrichten, das stimmt, sind immer nur schlecht. Aber das kommt, weil sie die Wirklichkeit filmen, Dinge, die tatsächlich passiert sind, die einem aber, wenn sie erst einmal vom Fernsehen aufgesogen worden sind, irgendwie weniger wahr vorkommen, also wahr, aber gleichzeitig auch unecht; es tut einem leid, aber nicht so sehr, und vor allem vergisst man sie sofort wieder.
Warum funktioniert es bei mir nicht?
Ich war doch gar nicht so ungezogen, aber ich habe es nicht geschafft, irgendeinen zu überzeugen, die Dinge anders laufen zu lassen. Nicht einmal Mama hat sich die Mühe gegeben, für mich zu leben. Warum?
Was haben die anderen, was ich nicht habe?
Ich habe mich unters Federbett verkrochen, verwirrt wie ein Erdbebenopfer in den Fernsehnachrichten, auch wenn die Zimmerdecke noch da ist und die Wänden noch da sind, und die Möbel, und das ganze Haus noch steht. Auch wenn jede Sache an ihrem Platz ist, die Couch mit mir darauf, der mit Wachs polierte
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