Meine erste Luege
introvertiert.«
In dem Film fliegt das Raumschiff durch den Raum, die Astronauten in der Kapsel schweben schwerelos, überschlagen sich und drehen sich mit dem Kopf nach unten, die Sterne zeigen Sternzeichen, die verkehrt herum sind, wie unsere, die von Mama und mir, uns geschieht immer das Gegenteil von dem, was uns geschehen soll.
Die Astronauten bewegen den Mund wie Fische, sie sprechen, doch sie scheinen mir stumm, weil sie sind so weit weg, dass niemand sie hören kann, und nehmen bunte Pillen, die sie in kleinen Fächern der Raumkapsel verwahren statt wie bei uns im Badezimmerschränkchen.
Blu hat immer noch Hunger, das Trockenfutter ist alle, und auch die letzte Schale Futter ist heute Morgen leer geworden. Ich weià wirklich nicht, was ich ihm zu fressen geben soll. Ich muss von drauÃen was holen. Blu läuft hinter meinen Schnürsenkeln her, schlüpft mir zwischen den Beinen durch, während ich mir die Jacke anziehe, folgt mir bis zur Tür.
»Warte hier auf mich, ich bin gleich wieder da, mach dir keine Sorgen.«
Ich suche nach Kleingeld in den Taschen und finde nur fünf 2-Euro-, drei 1-Euro- und vier 50-Cent-Münzen. Wie beim »Schiffe versenken«.
Wofür könnte das reichen?
In dem kleinen Laden an der Ecke kaufe ich eine Packung delikates Rindfleisch zum Sonderpreis und zwei Tüten Kartoffelchips. Ich drehe eine Runde um den Block, schnappe ein bisschen frische Luft, komme beim Zeitungshändler vorbei, bleibe aber nicht stehen, ich habe nicht genug Geld für Sachen, die man nicht braucht.
Als ich zurück in die Wohnung komme, schlägt mir ein entsetzlicher Gestank in mein kaltes Gesicht. Das muss Mama sein.
Ich nähere mich mit dem Schal vor dem Mund ihrem Zimmer, und der Gestank wird stärker. Es ist Mama, die so sehr stinkt, dass man fast tot umfällt.
Ich stelle die Einkaufstüte auf den Boden und renne mit angehaltenem Atem zum Ende vom Flur, laufe ans Fenster und versuche, den Griff zu drehen. Er klemmt, doch mit beiden Händen schaffe ich es, ich reiÃe alles auf, die Gardinen flattern mir ins Gesicht, wie Geister, die mich aufhalten wollen, und ich renne zurück, als hätte ich einen Geist gesehen, stolpere über einen Schuh, falle beinahe, erreiche die Tür, ich platze gleich, schlieÃe Mama und ihren schrecklichen Geruch in ihr Zimmer ein, drehe den Schlüssel um, ganz atemlos.
Aber ich muss weiterlaufen und auch alle anderen Fenster öffnen, alle Fenster, so schnell ich kann, ich will tief durchatmen, es geht aber nicht. SchlieÃlich fülle ich meine Lungen nur mit der Luft vom Balkon. Lasse die Kälte herein, die den Geruch wie eine Messerklinge wegschneidet.
Der Gestank ist überall an mir hängen geblieben, ich rieche nur Gestank in der Nase, bis unten in den Bauch, ich schnüffle an meinen Händen, sie stinken, alles stinkt.
Blu umkreist mich mit aufgerissenen Augen.
»Was ist denn bloà los? Warum machst du mitten im Winter alle Fenster auf? Warum verhaltet ihr euch alle so komisch? Warum können wir uns nicht in heiligem Frieden an die Heizung kuscheln?«
Er versucht mich zu lecken, seine Art, mir Küsschen zu geben, ich schiebe ihn weg.
Mir kommt es so vor, als hätte auch er nicht mehr seinen zarten Plüschtiergeruch, sondern nur einen furchtbaren Gestank an sich.
Ich sehe ihn, und dann sehe ich ihn nicht mehr, das ganze Zimmer dreht sich, ich höre ein Brummen im Kopf, das Geräusch des Kühlschrankes, das Geräusch des Dings, das Mama in der Schublade versteckt hat, aber tausendmal stärker. Ganz laut, und dann plötzlich: nichts.
Vielleicht bin ich ohnmächtig geworden. Ich bin vorher noch nie ohnmächtig gewesen, aber wahrscheinlich ist es so, wenn einer ohnmächtig wird. Alles dreht sich um dich, und du fällst hin.
Als würden sie einen schweren Mantel über dich werfen.
Wie tot.
Aber du bist nicht tot.
Wenn ich mich anfasse, spüre ich mich. Ich weià nicht, wie lange ich auf dem Boden gelegen habe, aber es ist wahrscheinlich, dass ich noch lebe.
Vielleicht bin ich nur eingeschlafen, wie Blu, wenn man ihn an die Leine nimmt.
Der Mantel, erinnere ich mich, ist jetzt ganz ohne Ãrmel, aber ich kann noch durch zwei Stümpfe atmen.
Oder ich bin tatsächlich tot, vielleicht fühlen sich die Toten so, dass alles gleich wie vorher ist, nur dass sie nichts mehr ändern können, sie sehen genau, was nicht in Ordnung ist,
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