Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine erste Luege

Meine erste Luege

Titel: Meine erste Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Mander
Vom Netzwerk:
Tisch, die Spiegelkommode, der Sessel mit dem Pinkelflecken, das Gemälde mit dem schlechten Wetter, signiert von einem Vorfahren des Katers.
    Die Wohnung scheint mir kahl, aber das kommt mir sicher nur so vor. Ich habe das Bedürfnis zu flüstern, wie im Museum, auch wenn ich nicht weiß, mit wem ich sprechen soll.
    Wenn sie mich im Fernsehen so sehen würden, ein Hotdog, eingewickelt in eine Decke, bin ich sicher, dass es ihnen das Herz zerreißen würde: Der arme Junge, ach, was für ein netter Junge, seht mal, wie schlecht es ihm geht, mir blutet das Herz, wenn ich ihn nur anschaue.
    Aber wenn sie mich in Wirklichkeit sehen würden, live, lebend und lebendig, und nicht einmal so heruntergekommen, bin ich mir sicher, dass sie mich geradewegs in ein Heim schicken würden, nachdem sie mich mit Fragen fertiggemacht hätten, um herauszufinden, wie gestört ich bin, weil sie mir nie glauben würden. Sie würden niemals glauben, dass einer mit seiner toten Mama in der Wohnung bleibt, weil er nicht in ein Heim will. Die Erklärung ist zu einfach, sie müssten notgedrungen andere suchen.
    Zu sagen, dass ich Blu nicht verlassen will, würde niemals ausreichen.
    Und doch laufen manchmal auch Hunde, die von Leuten an einer Raststätte ausgesetzt worden sind, kilometerweit, um nach Hause zurückzukehren, stehen wieder vor der Tür, als wollten sie sagen:
    Â»Hier bin ich.«
    Denn auch Hunde wollen nicht in einem Tierheim landen.
    Lieber kehren sie zu ihren Herren zurück, auch wenn das Dreckskerle sind.
    Wie ich es schaffen soll, weiß ich nicht.
    Aber vielleicht kommt mir eine Idee.
    Keiner vermisst uns besonders, vielleicht geht das so weiter.
    Ich hole die Einkaufstüte, die ich auf dem Flur gelassen habe. Ich räume die Dosen ein. Spüle Blus Napf aus und gebe ein wenig Futter hinein. Wickle die geöffnete Dose in Alufolie und stelle sie in den Kühlschrank.
    Gleichzeitig beschließe ich, ein neues Leben anzufangen.
    Man kann nicht die Einkäufe wegräumen und über seine Zukunft entscheiden, man kann nicht zwei Dinge gleichzeitig tun.
    Und doch kann ich es jetzt, ich kann alles.
    Ich beschließe also, alles genauso zu machen wie mit Mama, nur ohne sie. Das muss doch gehen.
    Ich sage mir: Es ist einfach so, als wäre ich groß geworden.
    Ganz plötzlich. Ich bin irgendein Single, und ich bleibe in der Wohnung, weil draußen richtig strenger Winter ist. Ich muss mir nur selbst treu bleiben. Ja, das muss gehen.
    Wie oft habe ich mir gewünscht, schnell groß zu werden, sofort? Also: Jetzt ist es so weit. Es hätte auf eine schönere Art passieren können, aber es ist so passiert. Das ist alles.
    Was machen Erwachsene zu Hause, wenn sie allein zu Hause sind?
    Ich muss es mir nur vorstellen und nachmachen.
    Ich stelle mir vor, dass Singles die Zeitung lesen, Gut. Das tue ich.
    Ich nehme eine Illustrierte und lese sie. Ich lese gern, warum also sollte ich es nicht tun, genau jetzt? In Mamas Zeitung ist ein Artikel, in dem steht, dass fünfundzwanzig Prozent der Einwohner unseres Landes Singles sind. Gut. Jetzt gibt es noch einen mehr.
    Ich bin keine Waise mehr, ich bin ein Single.
    Es ist nur eine Frage der Wortwahl. Worte können manchmal auch Ideen und Standpunkte verändern. Um erwachsen zu sein, genügt es, erwachsene Worte zu benutzen, verdammte Scheiße. Wie beim Führerschein, man muss ein gewisses Alter haben, um sich auf eine gewisse Art auszudrücken, vorher darf man das nicht. Aber schließlich gibt es keine Prüfung, in der kontrolliert wird, ob man die Worte in die richtige Richtung lenken kann.
    Ich kann jedes Schimpfwort sagen, das mir einfällt, ich kann bei Rot über die Ampel gehen, jetzt, wo ich allein bin, ich kann auch fluchen, die schlimmsten Schimpfwörter von allen sagen. Gott hat Mama nicht wieder auferweckt, und also hat er es verdient, kein Problem, solange niemand mich hört.
    Ich versuche, gottverdammt zu sagen.
    Es fällt schwer, wie wenn du die Zunge rausstrecken musst, so weit es geht, damit man sehen kann, ob du einen Belag auf den Mandeln hast, aber dann schaffe ich es.
    Es befriedigt mich nicht sehr, aber ich habe es gesagt.
    Gottverdammt, gottverflucht.
    Ich könnte mir auch eine Zigarette anzünden, wenn ich wollte, und sie stehend am Fenster rauchen, während ich die rauchenden Schornsteine auf den Dächern betrachte, wie Mama, die nach draußen schaut, und der Rauch

Weitere Kostenlose Bücher