Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine erste Luege

Meine erste Luege

Titel: Meine erste Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Mander
Vom Netzwerk:
kann der Wind einen verrückt machen.«
    Mir kommen nur so normale Gedanken in den Kopf, dass es schon verrückt ist, sie nicht verwirklichen zu können. Aber eigentlich konnte ich das auch vorher nicht, denn Mama war immer müde und hatte nie Lust auf irgendwas. Meine Sehnsucht ist nur die Sehnsucht nach einer Vorstellung, auch wenn die Sehnsucht mir dann in den Magen fährt und wie ein Hungerkrampf ist.
    Mama schaut gern stundenlang aus dem Fenster, und man versteht sehr gut, dass für sie das Draußen sehr weit weg ist. Sie schaut nicht aus einem Fenster unserer Wohnung, sondern aus dem eines Flugzeugs.
    Jetzt ist es also gar nicht so anders.
    Sicher, manchmal, wenn ich drängle, lässt Mama sich überreden, aber es ist nicht dasselbe, ob einer etwas widerwillig macht, nur damit du Ruhe gibst, oder ob er die Ärmel hochkrempelt und sich wirklich amüsiert.
    Jetzt bin ich also ein Mantel, dem beide Ärmel fehlen.
    Wenn wir Oma besuchten, die in einer Stadt mit dem Meer in der Stadt wohnt, konnte ich jeden Tag Fahrrad fahren, Slalom zwischen den Leuten in Badeanzügen, auch auf der Straße. Dann hielt man an, um ein Pistazien-Schokolade-Eis in der Waffel zu essen, sich zu sonnen, sich über die fetten Frauen mit den Rettungsringen im Wasser lustig zu machen. Zum Mittagessen gingen wir zurück, und waren wir in Omas Wohnung, kam es mir für einen Moment so vor, als wäre ich blind geworden, weil, draußen war so viel Licht und drinnen war es so dunkel. Beim ersten Mal bin ich erschrocken, ich habe geglaubt, wirklich blind zu sein, ein Blinder wie die mit den Schäferhunden und den weißen Stöcken und dem pickeligen Alphabet, wo man drüberstreichen muss. Ich bin in Tränen ausgebrochen, bis die Augen sich nach und nach an das Dunkel gewöhnt haben und ich aufgehört habe, zu weinen und mich zu fürchten.
    Ich mochte es auch, mir das Salz von meiner glatten, braunen Haut zu lecken, wie Blu, wenn er sich das Fell leckt. Ich mochte den Geruch von Salz und dass ich, wenn ich das trockene Salz mit einem Fingernagel wegkratzte, Schnörkel und Tätowierungen wie ein Indianerhäuptling auf die Haut zeichnen konnte, dann musste ich unter die Dusche, aber ich versuchte, wenigstens einen Arm auszusparen, um abends daran lecken zu können, unter den Betttüchern aus schwerer Baumwolle, die neu rochen, auch wenn sie die vorsintflutlichen Betttücher aus Omas Aussteuer waren.
    Â»Du bist doch keine Ziege, Ziegen mögen Salz.«
    Oder:
    Â»Du bist ja eine Ziege, so dumm wie du bist.«
    Aber sie meinten das nicht wirklich, sie sagten es nur, um mich aufzuziehen.
    Städte am Meer sind schöner, weil sie halb Stadt und halb Meer sind. Ich lebe in einer Stadt, die ganz Stadt ist, und so heißt auch das Verzeichnis ihrer Straßen. Wenn du dich verläufst, kannst du immer im Stadtplan nachschauen, da ist die ganze Stadt drin, auch wenn du nicht das Fahrrad nehmen und ans Meer fahren kannst.
    Unsere Stadt ist ganz Stadt.
    Deshalb weiß ich jetzt nicht, was ich tun soll.
    Ich werde mir irgendetwas ausdenken müssen.
    Und das denk ich mir aus:
    Da ist eine mausetote Leiche im Bett, und ich bringe sie per Teleportation in die Notaufnahme. Der Spezialist der Spurensicherung stellt fest, dass die anatomischen Funktionen unwiederbringlich zerstört sind, und sagt, das ist ein schöner Schlamassel. Der Tierarzt aber, der heimlich in Mama verliebt ist, will nicht aufgeben und fragt sich deshalb, ob es nicht etwas gibt, das man für sie tun kann. Er zieht Ärzte aus allen Teilen der Welt zu Rate und steuert etwas bei, um die Situation zu retten. Zum Beispiel sagt einer, dass es Geister gibt, die Leichen das Leben zurückgeben können, dass Mama reanimiert werden kann, wenn wir einen passenden Geist oder ein gutes Ektoplasma finden. Dann könnte Mama mit mir leben, wenigstens am Abend und in der Nacht. Ein anderer sagt, dass man mindestens einem Teil von Mama das Leben zurückgeben kann, dem Teil, in dem sie meine Mama ist und nicht irgendeine Person. Noch ein anderer sagt, dass man eine Replikantin von Mama machen könnte, eine Art Babysitterin, ein bisschen dumm, die jedoch ihre Pflichten ernst nimmt. Ein Doktor, der aus Ägypten gekommen ist, sagt, dass man einen Spezialisten rufen sollte, der in der Lage ist, Mamas zu mamafizieren, sie so mit Binden zu umwickeln, dass eine Mama als Mama erhalten bleibt, auch wenn sie gestorben ist,

Weitere Kostenlose Bücher