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Meine Frau will einen Garten

Meine Frau will einen Garten

Titel: Meine Frau will einen Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Matzing
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du? Großartig sag ich, was sagst du?« Und ich muss sagen »Vier Hochzeiten und ein Todesfall«. Meistens fallen ihr aber die Filme nicht ein. Ich muss es ihr dann leicht machen und zum Beispiel nach einem Film fragen, in dem jemand sagt: »Also, ich finde es bei Tiffany viel schöner.« Das schafft dann sogar Pia, die gern ins Kino geht, aber ihr Leben nicht damit verwechselt. Was ich schade finde. Abgesehen davon sollte man immer in der Nähe eines Kinos wohnen. Gärten sind das Gegenteil von Leinwänden, Häuser das Gegenteil von Drehbüchern. Pia zuliebe flüstere ich jetzt: »Garten! Lüge, alles Lüge!« Ich könnte sie wecken und zu ihr sagen: »New York war seine Stadt und würde es immer bleiben.« Aber sie käme eh nicht auf »Manhattan«.

    Ich schlafe wieder ein. Als der Flugzeugträger donnernd und wie immer pünktlich um halb sieben Uhr im Ozean meiner Sorgen versinkt, stehe ich auf, zerknittert wie ein Crashtest-Dummy nach dem Crash, und frühstücke mit den Kindern und meiner Frau. Morgens kann ich nie viel essen. Ein Espresso genügt. Mittags halte ich mich mit Blick auf die Blutfettwerte und zum Staunen der Kollegen deutlich zurück. Abends dann nur einen kleinen Salat - und dann stehe ich ab Mitternacht unbeobachtet in der dunklen Küche und werde nur von einer ganz kleinen Glühbirne beleuchtet. Das Licht kommt aus dem Kühlschrank, der in den nächsten dreißig Minuten zu sehen bekommt, wie man es schafft, fast den ganzen Tag über so erstaunlich wenig zu essen. Nachts liege ich dann auf einer Kugel. Das ist der Bauch, der mich nicht schlafen lässt, weil ich ständig nach links oder rechts über die Kugel abrutsche. Und weil ich Pia und den Kindern zuliebe an den Stadtrand ziehen soll, um dort, falls die Erde im Gegensatz zum Bäuchlein doch eine Scheibe sein sollte, herunterzufallen. Und weil ich heute einen Termin in der Diagnoseklinik habe.
    Wenn Pia wach wird, steht sie mit Schwung auf, geht ins Bad und sitzt zehn Minuten später fröhlich und energiegeladen am Frühstückstisch. Wenn ich wach werde, wälze ich die Kugel, die Sorgen und die Frage nach dem Haus herum und sitze eine Stunde später ungeduscht und zerknittert am Frühstückstisch. Pia halte ich in solchen Augenblicken für ein Alien. Das Alien sieht mich lächelnd an.

    Wir wohnen in der Münchner Innenstadt, in einer Wohnung mit knarzendem Parkett. Vor unserer Wohnung rattert die Straßenbahn die Ismaninger Straße entlang. Unter unseren Fenstern im dritten Stock ist eine Haltestelle. Alle zehn Minuten kommt eine neue Tram der Linie 18. Wenn sie kommt, hört man für einen Augenblick nicht mehr so gut. Ich frage also: »Was hast du gesagt?« Das ist die Frage, die in unserer Wohnung am häufigsten gestellt wird. Manchmal hört man auch diese Frage nicht genau. Aber das »Was …« reicht. Es ist ein interner Code. Jeder in meiner Familie weiß, dass er nach »was …« laut werden muss. Falls die Tram aber schon wieder abgefahren ist, falls es also plötzlich ganz leise ist in der Wohnung, brüllt ein Familienmitglied in diesem Augenblick scheinbar sinnlos herum. Dann brüllen alle anderen: »Brüll doch nicht so rum.« Unsere Wohnung hört sich folglich im Zehn-Minuten-Takt an wie ein ostrumänischer Marktplatz, auf dem sich ein paar Wassermelonenverkäufer raufen. Nichts gegen Ostrumänien, ich liebe das.
    »Was hast du gesagt?«
    »Dass du nicht krank bist«, sagt Pia. Pia ist vernünftig und praktisch. Nur ganz selten gerät sie in die ostrumänische Brüllfalle. Sie ist die Einzige hier, die sich in unserer verwinkelten Vier-Zimmer-Wohnung auch mit leiser Stimme Gehör verschaffen kann. Pia steht an der Espressomaschine. Unsere Küche ist knallrot gestrichen. Die Sonne scheint über den winzigen Balkon in den Raum und lässt ihn leuchten.

    »Wenn man sich krank fühlt«, doziert sie, »sollte man zum Arzt gehen. Wenn der nichts findet, ist man gesund. Und wenn er was findet, repariert er es. Und wenn man es nicht reparieren kann, ist das Pech. Aber du bist nicht krank.«
    Anton, im Schlafanzug, den er verkehrt herum anhat, kommt dazu. Er ist sechs Jahre alt. Ein stilles, sanftes Kind. In der Küche schüttet er sich Müsli in eine Schale. Nicht in irgendeine Schale, sondern in seine Schale. Die mit dem Löwenkopf. Stille und Sanftheit hindern einen Sechsjährigen nicht am Territorialverhalten an der Tränke. Die Hälfte vom Müsli geht daneben und rieselt auf den Holzboden. Was wohl die Geologen kommender Generationen

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