Meine Frau will einen Garten
Mal, wenn wir von unseren Touren und von den Abgründen des Eigenheimlebens zurückkommen, zurück in die schützende, bergende, wunderbare Stadt, muss ich mich erst mal ausruhen. Und fernsehen. Zum Beispiel Sendungen, die von Menschen handeln, die sich alte Häuser gekauft haben, um dann festzustellen, dass im Bad Schimmel ist, die Decke kurz vor dem Einsturz steht - und der Dunstabzug in der Küche dazu neigt zu explodieren. Dann kommt ein Team von Architekten, Innenraumgestaltern und Handwerkern, schickt die leidende Familie erst mal zur Tante aufs Land und saniert das Anwesen, wobei die Farbe Lindgrün
Verwendung findet. Anschließend darf die Familie zurück, sagt ah und oh und toll und super. Die Welt ist wirklich irre, finde ich. Pia sagt: »Morgen haben wir einen Termin im Osten.« Ich schätze, auch dort gibt es wieder einen Dunstabzug zu besichtigen. Ich sehe neuerdings viele Dunstabzüge.
Irgendwann nach einem dieser Samstage, die man bei Wassertretern oder Jägerzaunbesitzern verbracht hat, sagt Pia: »Weißt du, vielleicht sollten wir uns selbst ein Haus bauen.« Das ist ein ganz besonderer Augenblick. Eine neue Dimension tut sich auf.
Und dieser Augenblick macht ein Geräusch. Es ist ganz genau das Geräusch, das ein Geist machen würde, der nach Jahrzehnten Gefangenschaft aus der Flasche schlüpft.
Dann kommt das neue Jahr. Familien mit kleinen Kindern verbringen die Neujahrsnacht nicht besonders rauschhaft. Oft ist das Bleigießen einer der Höhepunkte, kurz vor dem Abfeuern einer kleinen Packung politisch inkorrekter Brot-statt-Böller-Böller.
Pia befördert das flüssige Blei, das sie über einer kleinen roten Kerze geschmolzen hat, in das Wasserglas, während wir alle zusehen. Es zischt und pffffft, und dann holt sie die erstarrte Form aus dem Glas. Es ist so eindeutig in seiner Form, dass ich noch lange darüber staunen werde: Es ist ein Kran. Auf der Bleigießerpackung sind die wichtigsten Symbole erklärt. Der Kran bedeutet, dass man ein Haus bauen wird. Noch
heute frage ich mich, wie sie das gepfuscht hat - oder ob das Bleigießen unterschätzt wird als Orakel. Ich selbst gieße etwas Unförmiges, was man mit viel Mühe für einen Spaten halten könnte. Pia bringt diese Mühe leicht auf. Ein Symbol für Immobilienkreditpleiten oder Hausbaudesaster gibt es auf unserer Bleigießerpackung nicht.
6. Kapitel, in welchem ein Grundstück gefunden wird. Nicht irgendeines, sondern das Grundstück. Es treten auf: Diogenes, Odysseus und Bauernfeind. Die These, wonach das Leben grundsätzlich eines in Mietverhältnissen ist, erweist sich als richtig, wird aber eben deshalb von Pia als irrelevant denunziert. Die Hoffnung auf ein Leben ohne Gartenzaun erlischt.
»Alles im Leben ist Miete.«
Der Satz hat einen Nachhall und schwebt für ein paar Sekunden im Raum. Es ist mittlerweile Februar, ein besonders schöner, hellblau klingender Tag voller Sonne. Wir sitzen zur Mittagszeit im Restaurant, nicht weit von ihrer Agentur entfernt. Ich habe heute frei, Max ist im Kindergarten, Julia und Anton besuchen die Schule. Die Laune ist prächtig. Von draußen kommt ein Sonnenstrahl herein und berührt für einen schönen Augenblick meinen Alles-ist-Miete-Satz, als wolle er mir Recht geben.
Pia und ich sind umgeben von knisternden Zeitungsseiten. Es ist wenig los. Wir sitzen, blättern, lesen und erleben einen eigentümlich entspannten Augenblick in einer an sich total verspannten Situation. Man darf nicht vergessen: Seit bald zweieinhalb Jahren sucht meine Frau zunehmend frustriert ein Haus, weil sie einen Garten will. Während ich das in dieser Unbedingtheit nach wie vor nicht teile.
Und ob die Kinder wirklich wollen? So genau wissen Eltern ja nie, was ihre Kinder brauchen oder wollen. Liebe und Fürsorge: ja, unbedingt. Anregung: aber sicher doch. Freiheit: ganz bestimmt. Garten? Brauchen sie einen Garten? Ich weiß es nicht.
Aber heute verdirbt mir nicht einmal der Immobilienteil die Laune. Vielleicht liegt das auch daran, dass Pia die Gebrauchthaussuche ebenso wie die Baugruppe aufgegeben hat. Wie sie auch die Recherche nach einer Eigentumswohnung mit Gartenanteil oder Dachterrasse für unter 500 000 Euro eingestellt hat. Das hätte sie sich in München natürlich gleich schenken können. Ich sage nichts dazu.
Ich wähne mich in Sicherheit, denn ihre vor kurzem erst gestartete Grundstückssuche betrachte ich in München, in der teuersten Stadt Deutschlands, als einen dermaßen bizarren Unsinn
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