Meine Frau will einen Garten
mitnehmen kann, keine Kreditkarte, keinen Autoschlüssel, keine Pferdepflegerin und kein Rheumabett, wozu sich dann belasten mit all dem Besitz? Eine Figur, die mir gut gefällt, ist deshalb eben jener Diogenes. Der hat etwa vierhundert Jahre vor unserer Zeit in Athen gelebt und sich dort die Geschichte mit der Tonne ausgedacht, die total fiktiv ist. Diogenes hat nie in der Tonne gelebt, sondern fand theoretisch, dass
man so wenig besitzen sollte, dass man gut auch in einer Tonne leben könnte.
Diogenes ist der Urfeind der Bausparkasse, der Antichrist der Immobilienwirtschaft. Ich erzähle Pia davon. Sie erwidert etwas zerstreut, während sie nachlässig ihren Tee umrührt: »Nein, Tonne ist nicht gut. Denk an die Kinder. Und was ist mit dem Keller?« Die vom Niederrhein haben es nicht so mit der antiken Philosophie, könnte man meinen. Aber das stimmt nicht. Auf ihre Weise will Pia mir einfach nur zu verstehen geben, dass es vollkommen sinnlos ist, ihr weiter Widerstand zu leisten. Der Frieden ist fragil, auch an diesem Februartag. Dabei bauen wir noch gar nicht, wo denn auch?
»Grundbesitz ist lästig«, sage ich, »ja wahnsinnig. Niemand baut ein Haus in München. Nur Verrückte. Alles ist vergänglich. Man darf sich nicht binden, man muss sich ganz der Natur anvertrauen. In der Natur gibt es keine Katasterämter mit Grundbuchauszügen. Alles Wahnsinn. Die Tonne ist die Philosophie von heute, und die Miete ist das Lebensprinzip von morgen. Alle kommen gerade zurück in die Stadt. Die Häuser werden verkauft und sind bald nichts mehr wert. Denk an Amerika, denk an die Krise.«
Pia sagt: »Dann zieh doch in die Tonne, Liebling, und zahl dafür Miete. Ich suche dafür ein Grundstück für ein Haus mit Garten. Am Stadtrand.«
Sie hat Unterstützung von unseren guten Freunden. Klaus und Amelie wohnen in einem wunderschönen Hexenhäuschen am Ammersee. Klaus ist Anwalt in einer
Münchner Kanzlei. Er fährt morgens siebzig Kilometer in die Kanzlei und abends siebzig Kilometer in sein Haus. Er sagt: »Das ist toll.«
»Klaus«, sage ich, »das ist Wahnsinn. Das stresst, ist ökologisch verwerflich und kostet einen Haufen Geld. Und dauernd stehst du im Stau.«
»Unsinn«, sagt Klaus, »Stau ist in Ordnung, weil man da telefonieren und arbeiten kann. Außerdem ist es gut, wenn zwischen Büro und Zuhause eine gewisse Distanz liegt. So bekommt man Abstand von der Arbeit und ist zu Hause völlig befreit. Du mit deinem Fahrrad und den zehn Minuten vom Büro in eure Wohnung, du bringst jedes Mal eine ganze Menge Stress mit nach Hause, das ahnst du gar nicht, aber es ist so. Ist erwiesen.« Klaus bezeichnet 140 Kilometer täglich zur Arbeit und zurück als eine »gewisse Distanz«. Er ist Anwalt, könnte aber sicher auch als Makler sein Brot verdienen.
Bei Klaus ist immer alles erwiesen. Um die Überlegenheit seiner Lebensweise zu demonstrieren, mailt er mir seit einiger Zeit die Angebote von Häusern am Ammersee zu. Ich gebe zu: Es ist so schön dort, dass ich da gerne leben würde, am See, in den Bergen, auf den Wiesen. Aber leider arbeite ich nicht am Ammersee, weil ich beispielsweise kein Ammersee-Fischer bin. Oder weil ich kein Ammersee-Dampfer-Kapitän bin. Ich glaube, Klaus ist vor allem auf der Suche nach einem Stau-Partner. Der ADAC behauptet, dass der Stau die Kommunikation unter den Menschen letztlich befördere,
Stau sei per se etwas Gutes. Der ADAC und Klaus: Die sind gefährlich.
Klaus und Amelie haben zwei Töchter, Sophie und Klara, die sich mit Julia befreundet haben. Wenn wir uns treffen, ob am Ammersee oder in München, denken sich die Mädchen immer ein Theaterstück aus. Eine Aufführung von Beckettscher Dringlichkeit ist dann normalerweise der Abschluss unserer Treffen. Das letzte Mal hieß das Stück »Auf dem Land«. Es handelt von einem bösen Vater, der aus beruflichen Gründen seine drei Töchter, die Klara, Sophie und Julia heißen, dazu zwingt, vom Land in die böse, dunkle Stadt zu ziehen. Auf dem Land lebte die Familie friedlich mit Hund und Esel und Hahn zusammen. Dauernd wurden Berge bestiegen und lustige Wanderlieder gesungen. Dann kam der Umzug in die Stadt, die aus verregnetem Teer und finsteren Häuserschluchten besteht. Alle werden unglücklich: die Mädchen, der Hund, der Esel und auch der Hahn, die Hundi, Eseli und Hahni heißen. Sie flehen den Vater an, er möge umkehren, zurück aufs gelobte Land. Das tut er dann auch. Alle sind wieder glücklich. Vorhang. Beifall.
Ob Klara und
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