Meine Frau will einen Garten
theoretisch ein Jagdbomber starten könnte, der einen kurz darauf über dem Marienplatz abwirft. Auf unsere Anzeige »Zentral gelegenes Haus in München zu kaufen oder zu mieten gesucht« meldet sich einmal ein Makler aus Dinkelscherben, irgendwo bei Stuttgart. Er sagt, mit dem ICE sei man fast ganz schnell am Münchner Hauptbahnhof, weshalb Dinkelscherben sozusagen in Bahnhofsnähe liege.
Makler sind toll. Ein Beispiel: Das Haus klingt gut in der Anzeige, großer Garten, ideal für drei Kinder, ruhiges Schlafzimmer mit eigenem Bad, Schulen in der Nähe, all das eben, was Pia glücklich machen könnte. Nur: Wo oder was ist Dirnismaning? Ich frage den Makler. Der Makler sagt, das sei ganz in der Nähe vom Zentrum.
Makler und Pendler geben Entfernungen nie in Kilometern an. Sie sprechen lieber von S-Bahn- oder Autominuten.
Das klingt fast so wie früher: »Wie weit«, fragt der Fremde, »ist es noch?« Und der Eingeborene antwortet: »Noch dreimal wird der Esel schlafen« oder, für
etwas längere Fahrten, so was wie »Fünf Monde werden über den Berg gezogen sein«.
Deshalb finden Makler alles, was im S-Bahn-Bereich liegt, »sehr zentral«. Häuser, die außerhalb liegen, sind nur noch »zentral«. Und so weiter. Die westliche Halbkugel ist in dieser Perspektive münchennah, während unser Sonnensystem zumindest noch Großraum München ist.
In der Zeitung lese ich von Leuten, die in England täglich mit dem Flugzeug ins Büro und wieder nach Hause fliegen. Man nennt sie Flugpendler. Und in New York kursiert seit einigen Jahren ein Plan für eine gigantische, im Atlantik und somit unter Wasser liegende Vakuumröhre. Darin soll einmal in ferner Zukunft eine Art unterseeische Magnetschwebebahn rasen, um - im Stundentakt! - New York mit London zu verbinden. Das ist keine Erfindung. Die Idee stammt vom weltberühmten MIT, dem Massachusetts Institute of Technology. Bisher scheitert die Vakuumröhre samt rasender, wie Teilchen beschleunigter Manager, die zwischen Wall Street, New York City und London Stock Exchange hin- und hergeschossen werden, am Geld.
Pendeln, das weiß die Pendlerforschung, und ich werde nicht müde, Pia davon zu unterrichten, verursacht so viel Stress wie das Fliegen in einem Kampfjet. Trotzdem wollen alle gerne pendeln und in Vororthäusern wohnen, wo sie in ihren Garagen die Jets abstellen. Und die Planer der Vororte sowie die Makler mit dem souveränen Raumbegriff sagen: gar kein Problem
das. Und meine Frau sagt: »Komm schon, das bisschen Autofahren. Alle machen das. Gerade haben sie die Pendlerpauschale wieder ab dem ersten Kilometer eingeführt.« Das MIT, die Broker in New York, die Garagenhersteller und meine Frau sind sich einig, und die Regierung arbeitet jetzt auch noch gegen mich.
Wir fahren also ins Umland, zu den Häusern im Pendlerparadies. Pia sitzt am Steuer. Im Radio ist zu hören, dass sich auf der A7 ein Stau von vierzig Kilometer Länge bei Allertal Richtung Hannover gebildet hat. Ich frage Pia, ob das Haus, das in der Zeitung als »familientauglich« gepriesen wird, bei Allertal liegt. Sie schweigt. Auf der A8, habe ich in der gleichen Zeitung gelesen, wurde ein Mann an einer Raststätte Richtung Salzburg mit dem Brotmesser bedroht. Ich frage sie, ob wir Richtung Salzburg fahren. Sie schweigt. Dann biegt sie bei Vaterstetten ab, in eine Gegend, die mir zum Glück weitgehend frei zu sein scheint von Brotmessermördern.
Die Welt, sie rast. Noch keine Zeit vor unserer sah, wie es Gottfried Benn formulieren würde, so dermaßen »reisefertig« aus. »Noch 1950«, erkläre ich Pia, »betrug die jährliche Fahrleistung eines deutschen Autofahrers rund 1000 Kilometer, Ferien inklusive. Heute sind es 12 000 Kilometer, Ferien exklusive.« Weiter komme ich nicht, denn hinten im Auto gibt es gerade mächtig viel Geschrei: Es ist heiß an diesem Tag, und Max hat einen Schokoriegel so lange in der Hand gehalten,
bis die Hand voller Schokosoße ist, womit Max nun seine Geschwister traktiert. Unser Auto sieht auf den Rückbänken in der Regel nach Slum und Gesetzlosigkeit aus. Es würde mich nicht wundern, wenn ich damit nicht mehr in die Schweiz einreisen dürfte.
Während wir in Vaterstetten durch ein Jägerzaunidyll kurven, rechne ich eben mal nach - den neuesten Pendlerbericht der Regierung auf den Knien. Ein Mensch, der in Deutschland siebzig Jahre alt wird, verbringt demnach fast vier Jahre seines Lebens ausschließlich im Auto oder im Zustand des Unterwegsseins. Nimmt man die
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