Meine Frau will einen Garten
verbiegt, und ich denke: »Aber wenigstens läuft die Säge nicht mehr. Wie in Minden. Schwein gehabt.«
Es ist mein erster großer Auftritt in meiner neuen Lebenswelt, und ich nehme doch an: Das hat Eindruck gemacht.
Schließlich kommt der Vater des brüllenden Wilde-Kerle-Jungen herbei, stemmt sich ruhig gegen den schwankenden Baum, zieht die Säge raus und lässt den Walnussbaum elegant am Haus und an meinem Kopf vorbei niedersinken. Dann sagt er: »Schöne Säge.«
»Ja. Danke auch.«
Mike, mein neuer Nachbar fürs Leben, heißt eigentlich Michael, aber er sieht dermaßen nach Clondyke aus, dass man automatisch Mike zu ihm sagt. Wahrscheinlich kennt er Timber, den Zopf. Mike also startet die Säge neu und macht sich an die Arbeit. Später, am Abend, ist das Grundstück voller Wurzeln, Strauchwerk und Baumstämme. Die Stämme kriegt Mike für den Kamin. Ich fahre nach Hause, also rein in die Stadt, und sage zu meiner Frau: »Fertig.« In jeder Hinsicht. Am merkwürdigsten aber ist: Ich bin stolz auf mich. Ich habe eigengeleistet und auf meinem Grund und Boden getan, was ein Mann tun muss. Am liebsten trüge ich ein T-Shirt mit der Aufschrift »I did it.« Ja! Ich! Hoho! Ich habe im Garten gearbeitet.
Wer das schafft, der meistert auch die 4-Meter-80-Hürde. Todmüde schlafe ich ein an diesem Abend. Todmüde und lächelnd. Die Glücksforschung sagt, glücklich mache immer nur, was man selbst macht. Am Ende bauen wir unser Haus noch selbst.
Ich träume von einem Hasenstall, der wie ein Porsche
Cayenne aussieht. Am Steuer sitzt die LBK-Agentin. Auf der Rückbank sitzen meine Kinder, die schokoladenverschmierte Münder und lange, sehr lange und sehr schmale Ohren haben.
10. Kapitel, in welchem die Schönheit über das Leben siegt. Das nennt man Architektur.
Die Architektin, die sich schließlich bereit erklärt, unser Haus zu bauen, hat sich für unser erstes Treffen eine Hausaufgabe ausgedacht. Eine Familienhausaufgabe. Das finde ich sympathisch, auch wenn sich später herausstellen wird, dass Liu Sung-Grau Kinder eher als laufende Zentimeter und schwer kalkulierbare Absturzrisiken statt als echte Menschen betrachtet. Kinder sind ihr suspekt. Kinder wachsen, was sich nachteilig auf die Idealproportion von Räumen auswirken kann.
Frau Sung-Grau kommt aus Japan und lebt mit ihrem Mann in Berlin, den wir nie kennenlernen, der aber wohl Herr Grau sein muss. Dort betreiben sie ein erfolgreiches Büro am Hackeschen Markt. Weil sie die Münchner Oper umbauen sollen, haben sie aber auch eine Filiale vor Ort. Eigentlich übernehmen die Sung-Graus so kleine Bauaufgaben wie Privathäuser, die keine Villen sind, gar nicht. Es sind sehr angesagte Architekten. Liu Sung, bei der ich mir nie merken kann, ob sie nicht doch Sung Liu heißt, weshalb ich sie für mich und intern nur die Gräuliche nenne, kennt Pia über Freunde von Freunden von Freunden. Sie macht es Pia zuliebe. Außerdem ist die Gräuliche Spezialistin für kleine Wohnräume. Da könne man von Japan nur lernen, sagt sie. Unser Minigrundstück reizt sie. In Japan,
doziert sie bei unserem ersten Treffen in Berlin, würde sie darauf vier Häuser planen. Ich weiß nicht, denke ich, ich war mal in Japan und bin dort mit etwa tausend Japanern in einem U-Bahn-Abteil gestanden, in dem man auch bei einem Vollcrash nicht umfallen könnte. Man ist einfach Teil einer weichen Masse. Ich fand das nicht so toll. Aber ich sage nichts. Pia wird schon wissen, was sie tut. Das Gebiet der Ästhetik ist ihr Hoheitsgebiet.
Deshalb erledigen wir jetzt auch die Hausaufgabe, die uns die Gräuliche gestellt hat. Julia, Anton und Max sollen ein Modell basteln. Ein Modell, das zeigt, wie sie sich ihr zukünftiges Zuhause vorstellen. Julia geht einkaufen, um sich erst einmal um die perfekte Ausrüstung zu kümmern und sich mit dünnen Holzpappen aus dem Bastelbedarf einzudecken. Aus diversen Kreativkursen, die wir in ihre Talentförderung investiert haben, kennt sie den wichtigsten Grundsatz des Künstlertums, sofern man sich der eigenen Kreativität nicht ganz sicher ist: Habe immer genug Material, dann kommen die Ideen vielleicht auch dazu.
Aus der Pappe schneidert sie ein Haus, das für unser Grundstück merkwürdig flächig gerät. In die Realität umgesetzt, würde es vermutlich anderthalbtausend Quadratmeter umfassen und aus zwanzig Zimmern bestehen, wovon zehn Zimmer Julia-Zimmer wären. Selbst die Schilder für ihre Julia-Zimmertüren entwirft sie zur Sicherheit mit. Auf einem
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