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Meine Frau will einen Garten

Meine Frau will einen Garten

Titel: Meine Frau will einen Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Matzing
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Leistenbruch-Schwarzwaldhaus-Projekt, würge nervös den Motor unseres Minivans ab, betrete das Grundstück und werfe die Motorsäge an
wie einen Außenborder. Ich will das jetzt endlich hinter mir haben. Und irgendwie hat mich die Baumarktatmosphäre inspiriert. Rrrrrrrrrrriiieeä, rmmm, rmmm, rfffz, blab macht die Säge. Abgesoffen.
    Ich habe mal gehört, dass man sich das Geräusch einer Kettensäge als Klingelton aufs Handy laden kann. Kann man das glauben? Ich lasse den Motor wieder an, schwitze jetzt schon und hoffe, dass mich niemand hört und niemand sieht.
    Unser Grundstück liegt im Grunde ganz idyllisch in der Nähe eines Wäldchens. An einer so harmlosen Straße, die es nicht mal bis zur Bezeichnung »Straße«, sondern nur bis zum »Weg« gebracht hat, zum Blumenauer Weg. Julia, Anton und Max werden entlang einer Wiese und einiger Felder in die Schule gehen, was mein Herz erfreut und meinen Verstand zu Tode erschreckt. Ich komme vom Land und wollte immer nur in die Stadt, denn ich bin entlang einer Wiese und einiger Felder in die Schule gegangen. Ganz idyllisch in der Nähe eines Wäldchens, wenn ich mich recht erinnere. Und nun wiederholt sich das Ganze sozusagen in zweiter Generation. Als läge dazwischen nicht die heroische Flucht vom Land in die Stadt. Der Treck in die Zivilisation. Der Zug in die Zukunft.
    Aber Pia wünscht sich ein bisschen mehr Stille. Ein bisschen weniger Getümmel und Trubel. Mein Lieblingsfilm: »Stadtneurotiker«. Zweitlieblingsfilm: »Manhattan«. Drittlieblingsfilm: »Metropolis«. Ihr Lieblingsfilm: »Das Glück liegt in der Wiese.« Und überhaupt
alle Filme, in denen Wäldchen, Wiesen und einige Felder die Hauptrolle spielen. Sie hat’s mit dem Idyll und dem grünen Vorortland, ich bin allergisch gegen Gräser, Pollen und Waldameisen und eher an Häuserschluchten, Kinos und Bars interessiert. In Obermenzing, glaubt sie, kehrt endlich mal Ruhe ein in unser hektisches Großstadtleben voller Menschenmassen. Ich glaube, dass ich dort einsam an Heuschnupfen sterben werde. Was Pia übrigens noch nicht ahnt: Mit einer Kettensäge in der Hand, an einem Samstagmorgen in ebenjenem Obermenzing - keine Szenerie der Welt könnte publikumsintensiver sein. Praktisch hinter jedem Fenster steht ein Nachbar und will wissen, wie das jetzt so läuft mit der Kettensäge. Ich stehe auf dem Grundstück wie auf der Bühne. Das Stück könnte von Thomas Bernhard sein und heißt »Holzfällen. Eine Erregung.«
    Im Prinzip könnte das gut ankommen. Es ist Samstag, und wenn man am Rand der Stadt am Samstag nicht sein Auto wäscht, den Grill herrichtet, den Rasen mäht, Holz hackt oder mit dem Laubsauger einen Höllenlärm macht, wird man hier nicht für voll genommen. Trotzdem ist mir das allgemeine Interesse am Sägewerk peinlich. Ich vergehe fast vor Scham. In meiner Stadtwohnung könnte ich mit der Säge meine Frau zerteilen, und niemand würde sich darüber groß mokieren. Nicht so hier, wo sich am Zaun schon die ersten Profinachbarn einfinden, um das Ganze kenntnisreich zu kommentieren. Vielleicht deshalb beschließe
ich, jetzt, sofort, gleich mal den allergrößten Baum umzunieten. Ohne Probieren. Das ist ein Fehler.
    Ich hebe die kreischende Motorsäge in Hüfthöhe an den Stamm eines großen Walnussbaumes, der leider absolut im Weg steht. Sofort fräst sie sich hinein, als hätte sie seit Wochen Hunger. Nun passieren vier Dinge praktisch zeitgleich. Erstens neigt sich der Stamm knarrend und knackend in meine Richtung. Das ist, wie mir sofort klar wird, die Richtung, in der außer mir auch das Nachbarhaus steht. Ich frage mich, wie stabil dessen Dach wohl ist, wenn’s mal darauf ankommt. Es kommt jetzt darauf an. Zweitens rast ein Nachbarjunge auf seinem Wilde-Kerle-Fahrrad herbei und brüllt unter Tränen: »Mörder! Baummörder!« Drittens säuft die Säge wieder ab, was, viertens, dazu führt, dass nun auch das Sägeblatt unter einem wie besoffen schwankenden fetten Baumstamm eingeklemmt ist und sich unter metallischem Ächzen verbiegt.
    Zusammenfassung: Ich stehe im Holzfällerhemd mit signalroter Arbeitshose am Baum, werde von einem Siebenjährigen angebrüllt, während ein halbes Dutzend Nachbarn hinter den Fenstern dem Schauspiel folgt, bei dem ich mit der einen freien Hand versuche, den Baum daran zu hindern, auf das Nachbardach zu fallen, während ich mit der anderen Hand fluchend an der Säge rüttle, während ich sehe, wie sich die Säge, die dem Zopf gehört, immer weiter

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