Meine Freundin, der Guru und ich
überall hin, wohin dich dein Gefühl treibt.«
»Schön gesagt. Ich kann trotzdem nicht. Ich sitze hier fest und warte auf mein Geld.«
»Du wartest auf dein Geld?« fragte ich.
»Ja. Ich bin pleite.«
»Woher kommt dein Geld?«
»Von zu Hause.«
»Wieso das denn? Von wem?«
»Von meinen Eltern.«
Ich konnte mir ein Lachen nicht verbeißen. Das ist ein Leben, dachte ich. Immer wenn dir das Geld ausgeht, kabeln dir Mama und Papa welches.
»Was ist?« fragte er. »Was ist daran so lustig?«
»Ach nichts.«
»Worüber lachst du?«
»Über gar nichts. Lache ich vielleicht? Sieht so etwa lachen aus?«
»Du hast eben gelacht. Ich möchte wissen, worüber du gelacht hast.«
»Nur über … na ja, du weißt schon.«
»Nein, ich weiß gar nichts.«
»Es ist nur – so lustig, daß deine Eltern dir Geld schicken.«
»Warum?«
»Es ist einfach lustig.« Ich grinste blöde. Jetzt hatte ich ihn an den Eiern. »Ich hatte nur angenommen – na ja –, daß du ein bißchen älter wärst, sonst nichts.«
Er stand auf und schleuderte Oscar and Lucinda zu Boden.
»Was willst du damit sagen?«
»Nichts.«
Die Luft wurde immer dicker, während wir uns so anstarrten. Keiner von uns beiden sprach.
»Tut mir leid«, sagte ich. »Ich hätte nicht lachen sollen. Ich meine – nur weil ich mir das Geld, um hierherzukommen, selbst verdient habe, bin ich deswegen noch kein besserer Mensch. Und es war ja auch keine große Überraschung. Ich hätte wirklich nicht lachen sollen. Es war eigentlich schon klar, als du das erste Mal den Mund aufgemacht hast, daß du ein feiner Pinkel bist. Tut mir leid. Ich hätte einfach nicht lachen sollen.«
Jetzt war er wirklich stinkwütend.
»Ich bin kein feiner Pinkel.«
»Nein – sorry. War das falsche Wort.«
»Und ich habe mir das Geld, um hierherzukommen, auch selbst verdient. Meine Eltern geben mir nur noch mal was obendrauf.«
»Ach so. Klar. Ich habe wieder voreilige Schlüsse gezogen.«
»Und noch mal: Ich bin kein feiner Pinkel!«
»Sorry. Brenzliges Thema.«
Er bebte vor Zorn.
»Leute wie du sind … ihr seid so … so … besessen von der Klassenfrage, daß … daß es … es ist wirklich so pubertär, und so englisch! Du bist einfach so scheiß-englisch, daß ich kotzen könnte. Du bist so was von traurig und engstirnig – und du weißt überhaupt nichts von mir. Also verpiß dich.«
»Du hast recht. Deshalb sollten wir uns besser kennenlernen. Auf welcher Schule warst du zum Beispiel?«
»Ich wette, daß du auch auf 'ner Privatschule warst.«
»Mag sein. Aber das macht mich noch nicht zu einem feinen Pinkel.«
»Verdammt noch mal, ich BIN KEIN….« Wenn er nicht so ein Weichei gewesen wäre, hätte er mir eine reingehauen. Ich sah, wie der Gedanke kurz in ihm aufblitzte. Statt dessen holte er ein paarmal tief Luft, hob das Buch auf und stürmte von dannen. In der Tür drehte er sich noch einmal um und schrie: »Ich wünsch dir, daß du … daß du … Malaria kriegst!«
Eine
Art sadistische
Schwerelosigkeits-
Kammer
Liz zeigte Jeremy unsere Bustickets nach Simla, und er wies uns freundlicherweise darauf hin, daß sich die Plätze mit den Nummern 52 und 53 im hinteren Teil des Busses befinden würden und daß es zum Grundwissen gehörte, sich um einen Sitz möglichst weit vorn zu bemühen, wenn man nicht will, daß es einem von den vielen Schlaglöchern unterwegs die Wirbelsäule zusammenhaut. Er erwähnte ebenfalls, daß auf unseren Tickets »Luxury VT« stand, was soviel hieß, als daß der Bus eine Videoanlage besaß und wir die ganze Reise über von Hindi-Musicals zugedröhnt werden würden. Und die Reise dauere, wie er genüßlich hinzufügte, mindestens vierzehn Stunden.
»Wie lange habt ihr Schlange gestanden?«
Wir sahen ihn beide finster an.
»Zwei Stunden.«
»Ihr hättet jemanden vom Hotel schicken lassen sollen«, sagte Jeremy.
»Machen die das wirklich?« fragte Liz.
»Na klar – kostet vielleicht 'n paar Rupien, aber spart dir 'nen ganzen Tag. Na ja – man lernt nie aus.«
Mehr denn je wollte ich Jeremy die Zehennägel einzeln ausreißen.
Es stellte sich heraus, daß das mit der Wirbelsäule, die es einem zusammenhaut, nicht bloß Gerede war. Die Hinterräder des Busses befanden sich ungefähr in der Mitte des Chassis, wodurch die hinteren fünfzehn Reihen wie auf einem Schwenkarm saßen, der jedes kleinste Schlagloch in einer sowieso schon grausam unebenen Straße vergrößerte. Das Ergebnis war, daß wir in einer Art sadistischer
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