Meine Freundin, der Guru und ich
ob sie deinen Stift haben können oder ein bißchen Geld. Ständig sprangen sie dich hinterrücks an, gerade dann, wenn man am wenigsten damit rechnete, schrien dir Fragen ins Gesicht und wedelten mit ihren schmuddeligen kleinen Fingern, in der Hoffnung, daß du ihnen die Hände schütteln würdest. Die Kinder waren in der Regel so dreckig, daß es mich ekelte, sie anfassen zu müssen, aber sie gingen nie weg, bevor man ihnen nicht zumindest den Kopf getätschelt hatte.
Liz schien es Spaß zu machen, von verlausten Straßenjungen überfallen zu werden, und oft ging sie in die Hocke, um mit ihnen zu reden oder zu spielen, während ich mich in sicherer Entfernung hielt. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, daß sie keine Ahnung hatte, auf welche Weise Krankheiten übertragen werden. Entweder das, oder sie bildete sich ein, eine Art Mutter Teresa zu sein.
Meine Intimsphäre wurde so unablässig von Kindern, Händlern und Menschenmengen verletzt, daß ich begriff: Entweder muß ich mir abschminken, eine zu haben, oder es auf einen Nervenzusammenbruch ankommen lassen. Unter den gegebenen Umständen schien mir letzteres die einfachere Möglichkeit zu sein, und jeden Morgen nach dem Aufwachen stellte sich bei dem Gedanken, daß zwischen meinem Bett und der Außenwelt nur ein Frühstück lag, eine leichte Übelkeit ein.
Ich ertappte mich dabei, wie ich andere Reisende anstarrte, um herauszufinden, ob sie sich wirklich gut amüsierten oder nur so taten. Einigen von ihnen ging es ganz offensichtlich beschissen, aber wann immer ich eine Gruppe erspähte, die glücklich aussah, beobachtete ich sie aufmerksam und belauschte sie, um zu ergründen, wie es zugehen konnte, daß sie Spaß hatten.
Es wollte mir einfach nicht in den Kopf, wie man sich in Indien wohl fühlen konnte. Wie machten die das? Stimmte mit denen was nicht? Oder war ich einfach nur willensschwach und überempfindlich? Vielleicht hatte ich ja recht gehabt mit meiner Überzeugung, daß ich ein viel zu großer Feigling war, um mich mit der dritten Welt auseinanderzusetzen? Vielleicht hätte ich ehrlicher zu mir selbst sein sollen und das Geld für einen Monat Benidorm ausgeben sollen?
Ich beschloß mich aufzumuntern, indem ich ein paar Postkarten nach Hause schrieb.
Liebe Mum, lieber Dad!
Wir sind vor ein paar Tagen wohlbehalten hier angekommen und mittlerweile schon in den Bergen angelangt. Simla liegt ziemlich eindrucksvoll, mitten in den Bergen, und die Häuser sehen zum Teil aus wie in England, nur ein bißchen wunderlicher. Sogar eine Kirche gibt es hier! Die Leute sind überall schrecklich arm, aber ich denke, daran gewöhne ich mich vielleicht noch. Ich wohne im YMCA, wo es einen richtigen, großen Snooker-Tisch gibt, mit einer Gedenktafel für Major Thompson, der im Jahre 1902 an diesem Tisch mal 109 Punkte gemacht hat. Hoffe, es geht Euch gut!
Liebe Grüße,
Dave
Lieber Grandpa!
Schöne Grüße aus Indien! Hier ist es wirklich total heiß, aber ich amüsiere mich prächtig. Ich bin noch nicht lange hier, aber ich kann jetzt schon sagen, daß es ein tolles Land ist. Allerdings sind die Straßen hier in einem ziemlich schlechten Zustand. Hoffe, es geht Dir gut!
Liebe Grüße,
Dave
Ich konnte es Liz ansehen, daß sie sich genauso elend fühlte wie ich, aber wir wollten beide nicht darüber reden, also marschierten wir weiter und versuchten, den Aufenthalt in Simla zu genießen. Nach ein paar Tagen hatten wir das Gefühl, die wichtigsten Dinge gesehen und uns von unserer Busreise ausreichend erholt zu haben, um die nächste in Angriff nehmen zu können, die uns diesmal noch weiter in die Berge führen sollte, in das kleine Städtchen Manali. Alle, denen wir begegneten, behaupteten, daß man Manali gesehen haben müsse – offenbar war es so eine Art Goa-in-den-Bergen. Ein perfekter Ort, um sich zu entspannen und eine kleine Verschnaufpause einzulegen. Bislang war einfach alles viel zu hektisch verlaufen.
Die Aussicht auf die Berge während der Fahrt nach Manali war ziemlich spektakulär, aber die Stadt selbst wirkte auf den ersten Blick eher trostlos. Immerhin wußten wir von einem ruhigen Hotel außerhalb der Stadt namens Rainbow Lodge, welches uns Jeremy empfohlen hatte. Zu Fuß machten wir uns auf den Weg dorthin und folgten dabei einer völlig unübersichtlichen Karte im BUCH.
Die meiste Zeit wurden wir von Touri-Schleppern verfolgt, die uns in die verschiedensten Hotels zu lotsen versuchten und sich weigerten, uns
Weitere Kostenlose Bücher