Meine Freundin, der Guru und ich
wenn ihr die lästige Reiserei hinter euch gebracht habt, nach Hause gehen und euren Arbeitgebern beweisen, daß ihr mehr als bereit seid, euch in ein Leben voller stumpfsinniger Plackerei zu fügen. Man könnte es vielleicht als eine moderne Form der Beschneidung ansehen – ein Leidens-Abzeichen, das man tragen muß, um in den Stamm von Großbritanniens zukünftiger Elite aufgenommen zu werden. Die ganze Art, wie ihr reist – das hat doch alles sehr viel mit beschränkten Horizonten zu tun, die sich als Aufgeschlossenheit ausgeben. Ihr interessiert euch nämlich einen Dreck für Indien und habt überhaupt kein Gespür für die Probleme, denen sich dieses Land zu stellen versucht. Ihr behandelt die Inder mit einer Mischung aus Verachtung und Mißtrauen, die total an die viktorianischen Kolonialisten erinnert. Eure Anwesenheit hier hat, finde ich, etwas Beleidigendes. Am besten wäre, wenn ihr euch allesamt zurück nach Surrey verpißt.«
»Das … das ist doch Blödsinn. Ich respektiere die Inder.«
»Warum bist du dann den ganzen Zug entlanggelaufen, nur um mit mir zu reden? Glaubst du vielleicht, ich bin hier die einzige Person, die Englisch spricht?«
»Nein … Ich wollte nur ein bißchen … Hören Sie, es ist ziemlich einfach, mit dieser PC-Kacke anzukommen, wenn man in komfortablen Spesen-Hotels übernachtet. Wenn Sie ein bißchen Zeit mit richtigen Reisenden verbringen würden, dann würden Sie sehen, daß es eine ganze Menge Leute gibt, die versuchen, uns übers Ohr zu hauen. Man muß ein bißchen mißtrauisch sein. Das ist einfach nur Selbstschutz.«
»Richtige Reisende. Du bist wirklich unbezahlbar. Das muß ich noch reinbringen.«
»Ach, vergessen Sie's doch. Sie hören mir ja gar nicht zu. Ich finde Ihre Art von … von … Zynismus einfach nur ziemlich traurig. Ich mach noch viel mehr, als Sie denken.«
»Ja, klar, bestimmt.«
»Wenigstens versuche ich's. Den meisten Leuten macht es doch überhaupt nichts aus, daß sie … daß sie überhaupt keine Ahnung von der dritten Welt haben. Ich bin wenigstens hierhergefahren.«
» Und daß du keine Ahnung hast, kann man ja nun wirklich nicht sagen.«
»Das war's. Mir reicht's. Ich hau ab.«
Ich stand auf und stampfte zurück in Richtung meines Abteils. Nachdem ich ein gutes Stück zwischen uns gebracht hatte, drehte ich mich ein letztes Mal zu ihm um und schrie: »UND ICH BIN NICHT AUS SURREY!«
Er schenkte mir ein breites Grinsen und winkte übertrieben. »VIEL SPASS NOCH BEI DEINEM URLAUB!« rief er. »VERGISS NICHT, DEINE GROSSE REISE IM LEBENSLAUF ZU ERWÄHNEN.«
Ich zeigte ihm diesen hier.
Kurz darauf gab die Lokomotive ein Tuten von sich, und die Leute kletterten eilig wieder zurück in den Zug, der sich bereits langsam in Bewegung gesetzt hatte. In meinem Abteil sah ich mich nach jemandem um, mit dem ich mich unterhalten konnte. Fest entschlossen, den Journalisten eines Besseren zu belehren, beschloß ich, es mit einem von den Einheimischen zu probieren. Schräg gegenüber saß ein Typ, aus dessen Hemdtasche ein paar Stifte herausschauten und der halbwegs gebildet aussah, weshalb anzunehmen war, daß er Englisch sprach. Ich lächelte ihn an.
»Hallo, mein Freund«, sagte er.
»Hallo«, sagte ich.
»Wie ist Ihr werter Name?«
»David.«
»Wo kommst du her?«
»England.«
»Bist du verheiratet?«
»Nein.«
»Was machst du beruflich?«
»Ich bin Student.«
»Oh, sehr gut.«
Da haben wir's, dachte ich. Geht der Scheiß wieder von vorn los.
Ich antwortete anstandshalber mit ein paar Gegenfragen, und ehe ich mich's versah, wurde ich als Zuhörer in ein endloses Gespräch über die verschlungenen Wege verwickelt, auf denen seine Gott-weiß-wieviel-hundert Söhne das indische Beamtenwesen durchlaufen hatten. Seine Erzählung nahm beinahe Mahabharata -artige Ausmaße an und dauerte so lange, bis wir in Bombay ankamen. Er versuchte noch, mich zu sich nach Hause zum Essen einzuladen, aber es gelang mir, ihn abzuschütteln, indem ich sagte, daß ich es eilig hätte und mit jemandem verabredet wäre.
In Bombay brauchte ich nur einmal meine Nase rauszuhängen und wußte schon, daß ich es hier nicht aushalten würde. Ich ging sofort ins nächste Reisebüro, um eine Fahrkarte für den erstbesten Bus nach Goa zu kaufen (der dem BUCH zufolge mit lediglich sechzehn Stunden Fahrzeit weniger lang als der Zug brauchte). Der Bus sollte in zwei Stunden starten, fuhr tatsächlich aber erst nach vier Stunden ab und brauchte drei weitere Stunden,
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