Meine Freundin, der Guru und ich
bis er die Stadtgrenze von Bombay erreicht hatte. Als wir endlich auf freier Strecke waren, war es bereits nach Mitternacht, so daß ich gerade beschlossen hatte einzuschlafen, als der Fahrer eine Kassette mit Hindu-Musicals einlegte und voll aufdrehte. Die Kassette lief die ganze Nacht über, unterbrochen nur dadurch, daß ich in regelmäßigen Abständen aufstand und ihn anschrie, er solle leiser machen. Jedesmal, wenn ich das tat, sahen mich die Leute im Bus an, als ob ich verrückt sei. Offenbar war es völlig üblich, daß Busfahrer Musik laufen ließen, um sich die Nacht über wach zu halten. Auf einem unserer zahllosen Zwischenstopps kaufte ich mir bei einem Straßenverkäufer eine Schachtel Kekse, um mir aus der Pappe von der Verpackung ein paar Ohrenstöpsel zu basteln. Wie sich herausstellte, änderte das aber überhaupt nichts an der Lautstärke. Außerdem fielen die blöden Dinger andauernd raus, und meine Ohren wurden ganz wund davon. Dazu kam noch, daß ich, nur um mich abzulenken, die ganzen Kekse auf einmal aß, wovon mir dann schlecht wurde. Der Bus blieb schließlich irgendwann am nächsten Tag auf halber Strecke liegen, so daß ich nach Panjim (der Hauptstadt von Goa) trampen mußte: und zwar hinten auf einem Lastwagen (wobei mir ein paar Radachsen als Sitzgelegenheit dienten). In meinem Delirium aus Wut, Frust, Einsamkeit und Arschweh schaffte ich es gerade, der letzten Etappe meiner Reise ins Auge zu sehen: was bedeutete, daß ich einen Nahverkehrsbus nehmen mußte, der von der Stadt raus zum Strand fuhr. Es war mir vollkommen egal, wo er hinfuhr und in welcher Ferienanlage ich schließlich landete, solange es dort einen Strand gab.
Ich hatte mich ganz eindeutig getäuscht, was die Freuden des Unterwegsseins anging. Von einem Ort zum anderen zu gelangen war ohne jeden Zweifel das Beschissenste an der ganzen Sache. Das Reisen an sich war ganz klar nicht der Witz dabei – insbesondere, wenn man versuchte, sechs Fingerbreit Indien auf einmal wegzuhauen.
Comfortably
numb
Der Monsun bewegt sich auf breiter Front aus nördlicher Richtung durch Indien. Er entsteht in den Bergen des Himalaja und flaut unten an der Südspitze Indiens wieder ab. Ich hatte seine Anfänge oben im Norden mitbekommen, aber nun, da ich zweitausend Kilometer weiter nach Süden gereist war, fand ich mich in der Mitte des Landes wieder, inmitten des Monsuns.
Ich war in einem der etwas größeren Ferienorte namens Colva Beach angelangt, der aber auf den ersten Blick völlig verlassen schien. Es waren zwar jede Menge Inder da, aber andere Reisende konnte ich nicht entdecken. Und die meisten Hotels schienen geschlossen zu haben.
Ich fand eine Absteige, die im BUCH stand und geöffnet hatte, und nahm dort ein Zimmer. Obwohl es erst Nachmittag war, ging ich sofort ins Bett.
Nachdem ich wie ein Stein bis weit in den nächsten Morgen hinein geschlafen hatte, wachte ich auf und sah mir erst einmal richtig den Ort an. Es gab jede Menge Bars und Hotels, aber die meisten hatten die Rolläden runtergelassen. Ich spazierte eine asphaltierte, sandbedeckte Straße entlang, die vom Hotel über einen ausgestorbenen Marktplatz und von dort weiter zum Strand führte.
Der Strand war der Wahnsinn. Wohin das Auge blickte, meilenweit gelber Sand, menschenleer. Überall Palmen und … ja, das Meer. Der Himmel war ein bißchen bedeckt und die Luft ein bißchen feucht, aber das schien mir eigentlich kein ausreichender Grund zu sein, den ganzen Laden dichtzumachen. Soweit ich das beurteilen konnte, sah alles ganz prima aus. Es war schön hier. Nichts stand meinem Vergnügen im Weg. Es gab keinen Haken bei der Sache. Abgesehen davon, daß ich weit und breit der einzige Mensch war.
Ich wanderte eine Weile den Strand auf und ab, aber es dauerte nicht lange, bis ich mich langweilte. Nicht gähnend langweilte, sondern eher wozu-bin-ich-eigentlich-am-Leben-mäßig. Ich ließ mich auf dem Sand nieder, schaute auf den Ozean hinaus und stöberte ausführlich in meinem Gefühlshaushalt herum. Da war ich nun, an einem schönen Ort, ganz und gar gelassen, und entspannte mich nach einer langen und anstrengenden Reise, genoß die wohlverdiente Ruhe. Niemand sagte mir, was ich tun solle. Ich hatte keinen Streß, ein komfortables und billiges Hotelzimmer und keine lästigen Inder am Hals. Aber obwohl ich mich insgesamt entspannter, zufriedener und zuversichtlicher fühlte als jemals zuvor seit meiner Ankunft in Indien, konnte ich mich andererseits auch nicht
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