Meine Freundin, der Guru und ich
Spaß machte, und mein Puls beruhigte sich wieder. Ich nötigte mir ein schwaches Lachen ab, um ihm zu bedeuten, daß er jetzt aufhören könne, herumzuhüpfen.
Als er wieder ruhig dastand, sprach er mit normaler Stimme weiter. »Hey – selbst die Malaria ist nicht das Ende der Welt. Die Einheimischen hier leben auch damit.«
»Aha.«
»Und sterben daran.« Sprach's und schüttete sich aus vor Lachen.
Als er sich schließlich wieder eingekriegt hatte, sagte er: »Mensch, Kopf hoch. Du hast nur ein bißchen Dünnschiß. Das ist gar nichts. Trink ein bißchen Wasser, und dann wird das schon wieder. Sei froh, daß du nicht so was hast.«
Er krempelte seine Hose hoch und zeigte mir eine ziemlich übel aussehende Furche, die sich direkt am Schienbein in seine Haut gegraben hatte.
»Was ist das denn?«
» Das kommt von einem Wurm, der in verseuchtem Wasser lebt. Er schwimmt durch den kleinsten Riß in deiner Haut, oder sogar durch deinen Schwanz, und wird ganz, ganz groß in dir, und lebt in deinen … wie heißt das?«
»Venen?«
Mir war schwindlig.
»In deinen Venen. Ganz genau. Wenn der Wurm erst mal groß genug ist, fühlst du die Schmerzen, aber es gibt keine äußeren Anzeichen dafür. Und niemand kann sehen, was mit dir los ist. Man muß die Augen offenhalten, und wenn du einen Knoten in der Haut siehst, der sich bewegt, mußt du mit einer Nadel bohren, bis du genug von dem Kopf von dem Wurm siehst. Du kannst ihn nicht auf einmal rausziehen, weil er sonst reißt, und noch schlimmer als ein lebendiger Wurm in dir ist ein toter Wurm in dir. Also mußt du seinen Kopf um ein Streichholz wickeln und das Holz jeden Tag eine Umdrehung weiter drehen, bis sich der ganze Wurm aus deinem Bein gewickelt hat.
« Meine Knie wurden weich, und mir wurde schwarz vor Augen. Ich krallte mich noch verstörter am Türrahmen fest und versuchte, nicht zuzuhören.
»Wenn der Wurm bis an dein Herz kommt – dann ist es aus. Ende. Paff! Ich hatte Glück. Ich hab ihn rausbekommen.«
Wir bewunderten beide für einen Moment das Loch in seinem Schienbein. Ich fühlte, wie ein wenig Kraft in meine Schenkel zurückkehrte und meine periphere Sicht sich wiederherstellte.
»Da hast du aber Glück gehabt, oder?«
»Ja, klar.«
»Wird das je ganz verheilen?«
»Eines Tages. Ich hoffe jedenfalls. Eine Narbe wird aber bleiben.«
»Das ist gut.«
»Hä?«
»Na ja, da hast du was vorzuweisen, für deine ganzen Mühen und so.«
»Ach so. Nein, ich hab den Wurm behalten. Den kann ich immer verwenden, wenn ich einen Beweis brauche.«
»Du trägst den Wurm mit dir rum?«
»Quatsch. Nein, ich hab ihn mit der Post an meine Eltern geschickt.«
»Und sie heben ihn für dich auf?«
»Ich habe meine Mutter gefragt, ob sie ihn einlegt, aber ich glaube, sie ist nicht so scharf drauf.«
»Komisch eigentlich.«
»Ja. Hör mal – meine Freunde warten. Soll ich dir ein bißchen Wasser mitbringen?«
»Bitte. Das wäre toll.«
»Was zu essen?«
»Nein. Kann jetzt nix essen.«
»Solltest du aber.«
»Ich kann aber nicht.«
»Ich bring dir ein paar Bananen mit. Wenn du dich ein bißchen kräftiger fühlst, solltest du gekochten Reis essen.«
»Das könnte ich nicht.«
»Ich bin gleich wieder zurück. Leg dich hin.«
»Danke. Das ist wirklich nett von dir. Du hast mir das Leben gerettet.«
»So schlimm ist es glaub ich nicht.«
»Nein, wirklich. Ich bin dir sehr dankbar.« Ich fühlte meine Augen feucht werden, und meine Brust füllte sich mit einem Druck, der danach verlangte, sich in ein Schluchzen aufzulösen.
Der Typ legte seine Hand auf meine Schulter. »Das wird schon wieder«, sagte er. »Hey – wie heißt du eigentlich?«
Ich holte tief Luft und sagte mit hoher, zittriger Stimme: »Dave, aus England. Und du?«
»Igor Boog, aus Delft in Holland.« Er lächelte mich an und drückte meine Schultern. »Das wird wieder, Dave. Ich komme bald zurück.«
»Danke. Wirklich – vielen Dank.«
»Schon okay.«
Seine Sandalen knallten gegen seine Fersen, als er wegging, und ich rief ihm noch mal nach: »Danke, Igor!«
Er lachte und hob grüßend eine Hand, ohne sich umzudrehen. »Sei tapfer, Dave«, sagte er noch, bevor er leise lachend im Treppenhaus verschwand.
∗∗∗
In der darauffolgenden Woche verließ ich kaum mein Zimmer. Igor schaute jeden Morgen vorbei, um mir Wasser, Bananen und nach ein paar Tagen auch gekochten Reis vorbeizubringen. Er setzte sich zu mir, während ich aß, und heiterte mich mit allen möglichen
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