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Meine Freundin Jennie

Meine Freundin Jennie

Titel: Meine Freundin Jennie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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schon einmal gewesen zu sein, nur vermochte er sich in seiner Erschöpfung nicht mehr zu entsinnen, wann.
    Da er sich aber so schwach und elend fühlte, glaubte er, daß seine Phantasie ihm nur wieder einen Streich spielte, gab sich ihr jedoch trotzdem hin, weil er ganz von dem Gefühl durchdrungen war, daß Jennie in der Nähe sein müsse, und diese traumhafte Vorstellung ihn im Augenblick alles Leid und Ungemach vergessen ließ.
    In den vielen Tagen und Nächten, in denen er Jennie nun schon gesucht hatte, hatte er so qualvolle Angstträume gehabt, daß er diesen schönen Traum, der ihm jetzt gewährt zu werden schien, von ganzem Herzen begrüßte, nämlich die traumhafte Erinnerung, daß sich in der schmutzigen, rauchgeschwärzten Backsteinmauer des Lagerhauses, an der er gerade entlangkroch, sehr bald eine Öffnung oder ein Loch befinden mußte, etwa von der Größe eines Suppentellers und ungefähr einen halben Meter über dem Straßenpflaster, und daß das Gitter, das es ursprünglich verdeckte, am Rand durchgerostet und daher abgefallen war, so daß man, wenn man wollte, unbehindert heraus- oder hineinschlüpfen konnte...
    Ja, es war ein guter Traum, der ihm da geschenkt wurde, denn nun sah er es tatsächlich vor sich, dieses Mauerloch, das ihm so bekannt vorkam, rund herum mit Metall eingefaßt, und links und rechts konnte er jetzt auch deutlich die beiden Vertiefungen sehen, in denen das Gitter früher befestigt gewesen war.
    Einem so wunderbaren Traum mußte man unbedingt nachgehen, dachte Peter, und mit großer Anstrengung sprang er hoch und landete auch richtig in der Öffnung. Und als er in das Eisenrohr hineinkroch, kam er auch schon bald an die durchgerostete Stelle, wo an der linken Seite eine kleinere Öffnung in einen langen dunklen Tunnel führte, genau so, wie er es erinnert hatte.
    Es tat so wohl und war so tröstlich, sich nicht mehr ganz so verlassen zu fühlen und wieder ein bestimmtes Ziel zu haben, denn anscheinend wußte er, wo er sich befand, oder jedenfalls, wie er nun weiterlaufen mußte, denn ihm war, als empfange er von diesem gütigen, wohlmeinenden Traum den Befehl, sich erst nach links zu wenden, dann nach rechts einzubiegen und dann wieder nach links. Und wenn der Traum sich wirklich als ein guter Freund erwies, dann mußte er ihn schließlich auch in den Verschlag führen, in den nur durch ein schmutziges kleines Dachfenster, in dem eine Scheibe fehlte, etwas Licht eindrang und der bis zur Decke mit vergoldeten Möbeln in etwas verrutschten Schonbezügen vollgestopft war, so daß man da und dort ein Stück von den roten Samtpolstern sehen konnte. Und in der Mitte mußte ein riesengroßes Bett stehen, auf dem eine Steppdecke aus roter Seide lag und an dessen beiden Seiten die gelben Seidenvorhänge eines Baldachins herunterfielen, die oben von einem ovalen Medaillon zusammengehalten wurden, auf dem der Buchstabe N und darüber eine Krone zu sehen war... Was für ein herrlicher Traum, dachte Peter, denn wahrhaftig, der Raum sah noch genau so aus wie damals — aber ob der Traum ihm nun auch noch die Gunst erweisen würde, ihn glauben zu lassen, daß er nur auf die rote Seidendecke hinaufzuspringen brauchte, um Jennie dort vorzufinden? Oder würde er jetzt gleich aufwachen und zitternd vor Kälte und Nässe, hungrig und elend müde in irgendeiner schmutzigen Hafengasse stehen — mutterseelenallein und von Jennie ebenso weit entfernt wie an dem Tag, an dem er sich aufgemacht hatte, sie zu suchen?
    Einen Augenblick lang wagte er sich nicht zu rühren, aus Angst, sich gar zu plötzlich der rauhen Wirklichkeit gegenüberzusehen, und dann hatte er das höchst seltsame Gefühl, daß er gar nicht mehr träumte, aber vielleicht doch...
    Im nächsten Augenblick sprang er auf das Bett und sah Jennie vor sich. Und es war kein Traum! Nein, er bildete es sich auch nicht ein. Jennie war wirklich da, und er hatte sie also zu guter Letzt doch gefunden.
    «Jennie! Jennie!» rief er überglücklich. «Ach, Jennie, überall habe ich dich gesucht und kann es noch gar nicht glauben, daß ich dich endlich wiederhabe!»
    «Hallo, Peter», begrüßte Jennie ihn freundlich. «Ich bin auch sehr froh darüber, daß wir nun wieder beisammen sind. Ich habe hier schon so lange auf dich gewartet, aber ich wußte, daß du eines Tages auch hier nach mir suchen würdest.» Und dann kroch sie auf ihn zu, rieb ihre Nase an der seinen und küßte ihn auf die Augen. Aber gleich darauf rief sie entsetzt: «Peter… Wie

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