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Meine Freundin Jennie

Meine Freundin Jennie

Titel: Meine Freundin Jennie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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Erschöpfung, zumal Peter nie stehenblieb, um etwas zu essen oder zu trinken, außer einmal an einer trüben Wasserlache, die noch vom letzten Regen in einer Vertiefung des unebenen Straßenpflasters übrig geblieben war; und hin und wieder schlang er rasch irgend etwas herunter, was ihm bei seiner überstürzten Suche nach Jennie an Eßbarem gerade vor die Nase kam. Aber sein schlechtes Gewissen ließ ihm keine Ruhe, und er dachte auch nicht daran, sich zu waschen oder auch nur ein bißchen zu putzen, so daß sein schönes weißes Fell bald seinen Glanz verlor und auch seine rosige Haut ganz schmutzig wurde und ihn überall zu jucken begann; und es dauerte nicht lange, da sah er genau so verwahrlost aus wie die dreckigste und struppigste Katze, die nur je in den Hintergassen des Londoner Ostens herumgestreunt war.
    Trotzdem lief er immer noch weiter und merkte kaum, daß es dunkel und wieder hell wurde, und er hätte nicht sagen können, wieviele Tage und Nächte er nun schon unterwegs war. Er schlief nur, wenn er sich vor Müdigkeit nicht länger auf den Beinen halten konnte, und streckte sich dann irgendwo für eine Weile aus. Und immer, wenn er sich so ein bißchen verschnaufte, 9ah er Jennie vor sich, ihr liebes unvergeßliches Gesicht mit dem großen weißen Fleck, dem weichen rosigen Mäulchen und den klaren hellschimmernden Augen, die so zärtlich dreinschauen konnten. Auch an ihre kleinen Eigenheiten mußte Peter immer wieder denken, an ihr verschmitztes Lächeln, den schnellen Seitenblick, mit dem sie sich immer vergewissert hatte, daß er sich auch wohl fühlte und es ihm an nichts fehlte; an ihre flinken anmutigen Bewegungen, wenn sie sich wusch, ihre drollige Haltung, wenn sie sich in Positur setzte, und ihre Fröhlichkeit, die so ansteckend wirkte. Gewiß, sie hatte auch ihre kleinen Schwächen, zum Beispiel ihren Familienstolz, wenn sie sich mit ihren Vorfahren brüstete, oder ihre Neigung, sich vor Peter etwas aufzuspielen, um Eindruck auf ihn zu machen. Aber wie besonnen und zugleich resolut war sie auch! Wie sicher und geschmeidig bewegte sie sich, wenn sie auf die Jagd ging, und welche Kraft steckte doch in ihren kleinen muskulösen Pfoten! Und wie zuverlässig erwies sie sich in jeder Notlage, immer wußte sie Rat und war eigentlich nie in Verlegenheit zu bringen, dachte Peter, und alle diese Gedanken scheuchten ihn wieder auf, und er begab sich von neuem auf die Suche.
    Als er das Hafenviertel erreichte, stellte er fest, daß er sich dort etwas besser auskannte als in den anderen Stadtteilen, und er beschloß, zunächst zur Baracke zu laufen, die Mr. Grims bewohnt hatte, weil Peter es nicht für ausgeschlossen hielt, daß Jennie dahin zurückgekehrt war, um ihren Erinnerungen an den alten Mann nachzuhängen, um den sie vielleicht immer noch trauerte, wenn sie sich auch nichts davon anmerken ließ.
    Es war ein kalter grauer Tag und es regnete wieder, als Peter am späten Nachmittag unter den Güterwagen auf den freien Platz mit dem Lagerschuppen zulief, wie damals mit Jennie—an jenem Tag, der nun schon so weit zurücklag! Und endlich sah er die Baracke vor sich liegen, mit ihrem Wellblechdach und dem krummen Ofenrohr, das als Schornstein diente.
    Aber ach, wie anders sah sie jetzt aus! So schmutzig und noch viel baufälliger als je zuvor. Die roten Geranien zu beiden Seiten der Tür und auf den Fensterbänken waren verschwunden, und als Peter näherkroch und durch die Tür, die halb offen stand, hineinschlüpfte, sah er auf dem Bettrand einen höchst unsympathischen Burschen sitzen, der einen auffallend dreckigen Schal um den Hals trug, mit böse funkelnden Augen und einem scheinheiligen Ausdruck im Gesicht vor sich hin starrte und gerade eine Flasche Gin an seinen Mund hob. Der ganze Raum roch nach Gin und Schweiß und Dreck, und von Jennie war natürlich keine Spur zu erblicken.
    Jetzt setzte der Mann die Flasche ab, und da er sie leergetrunken hatte, warf er sie mit einem kräftigen Schwung durch die Tür, so daß sie draußen in tausend Scherben zerschellte. Ein paar Zentimeter weiter nach links, und sie würde Peter getroffen haben, der fast wünschte, sie hätte es getan, so mutlos fühlte er sich auf einmal, und traurig schlich er sich davon.
    Unwillkürlich lenkte er seine Schritte zu dem Kai, an dem seinerzeit die Gräfin von Greenock festgemacht hatte, denn nun klammerte er sich an diese letzte Hoffnung, Jennie dort zu finden. Aber darin bestand ja gerade seine Strafe, daß er sich

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